Konstantin Wecker im GA-Interview Da muss man durch

Bonn · Der Münchener Liedermacher Konstantin Wecker gastiert mit seiner Band auf dem Bonner Kunst!Rasen. Sein aktuelles Tournee-Programm nennt er „Revolution“.

 Liedermacher Wecker: „Ich schreibe weiter in den sozialen Medien, und ich will weiter an das Mitgefühl appellieren“

Liedermacher Wecker: „Ich schreibe weiter in den sozialen Medien, und ich will weiter an das Mitgefühl appellieren“

Foto: THOMAS KARSTEN

Herr Wecker, Sie haben unzählige Male in Bonn gespielt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Konzerte, die oft erst nach zehn, 12 Zugaben endeten?

Konstantin Wecker: Es gab in der Beethovenhalle viele besondere Momente, bei der Tour zum Album „Wut und Zärtlichkeit“ vor drei Jahren etwa hat der WDR dort einen Live-Mitschnitt produziert. Außerdem habe ich in Bonn schon gespielt, als es Berlin noch nicht gab.

Schöne Umschreibung. Sie meinen die Zeit vor dem Regierungsumzug?

Wecker: Ja, klar. Eine spannende Zeit, es kamen immer wieder auch Politiker zu meinen Bonner Konzerten.

Helmut Kohl eher nicht, oder?

Wecker: Eher Sozialdemokraten. Auch Petra Kelly von den Grünen, die interessierte sich für Kultur. Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht kommen heute noch regelmäßig, wenn ich in Saarbrücken auftrete.

Nun sind Sie erneut auf Tournee. Ist denn Ihre Bonner Kollegin Cynthia Nickschas mit von der Partie?

Wecker: Das hängt von ihrem Terminkalender ab. Wenn sie Zeit hat, ist sie dabei.

Wie kommt es zur Zusammenarbeit mit der jungen Liedermacherin?

Wecker: Sie hat ihr erstes Album auf meinem Label Sturm & Klang veröffentlicht, „Kopfregal“ heißt es. Cynthia ist Mitglied meiner Tourneeband. Natürlich will sie jetzt mit ihrer Band eigene Wege gehen, das ist auch gut so. Sie wird ihre Karriere machen.

Das aktuelle Wecker-Album heißt „Ohne warum“, die Tour allerdings läuft unter dem Motto „Revolution“. Was steckt dahin?

Wecker: „Revolution“ bedeutet „Umwälzung“, und wir brauchen eine Umwälzung – nicht nur im politischen Sinn, sondern in unserem gesamten Denken.

Was meinen Sie konkret?

Wecker: Wir zerstören unsere Erde mit unserer unendlichen materialistischen Gier. Wir vernichten Tierarten, gehen rücksichtslos mit den Ärmsten der Armen um. Wenn ein Prozent der Menschheit so viel besitzt wie die restlichen 99 Prozent zusammen, kann das nicht gut gehen.

Das Lied „Ich habe einen Traum“, in dem Sie sich für die Willkommenskultur stark machen, entstand noch vor der großen Flüchtlingswelle. Hatten Sie so eine Ahnung?

Wecker: Es passiert oft beim Schreiben von Liedern und Gedichten, dass man gewisse Dinge vorausahnt. Das ist keine Prophetie, sondern eine Frage, wie sensibel man als Künstler für bestimmte Situationen ist. Der Schriftsteller Georg Heym (1887-1912, die Red.) zum Beispiel beschreibt in seinem Gedicht „Der Krieg“ bereits 1911 die Grauen des Ersten Weltkrieges, da bekommt man eine Gänsehaut.

Und wie war das bei Ihrem Liedtext?

Wecker: Als politisch bewusster Mensch hat man gewusst, was auf uns zukommen würde. Auch Politiker haben das gewusst. Doch sie haben die Augen davor verschlossen, nach dem Motto: Wenn ich die Augen schließe, sieht mich keiner.

„Ich habe einen Traum“ beginnt mit der Zeile: „Wir öffnen die Grenzen und lassen alle herein.“ Ist eine solche Aussage nicht arg kühn?

Wecker: Ich glaube nicht. Realpolitisch wäre das möglich. Obwohl ich aus einem anderen politischen Lager komme, hat mir die erste Reaktion von Angela Merkel imponiert: „Wir schaffen das!“ Deutschland hat nach Kriegsende Millionen Menschen aufgenommen und Jahre später trotzdem ein Wirtschaftswunder erlebt. Wir könnten so viele Menschen aufnehmen. Und es ist eine Lüge, dass das alles potenzielle Islamisten sind. Die meisten Flüchtlinge fliehen doch gerade vor dem Islamismus.

Aber längst nicht alle. Abertausende sind aus nordafrikanischen Herkunftsländern nach Istanbul geflogen, um sich in die Balkanroute einzufädeln.

Wecker: Was für ein dummes Argument! Wer verlässt seine Heimat freiwillig, ohne in Not sein? Völliger Blödsinn! Auch ein Wirtschaftsflüchtling ist ein Flüchtling, weil er in Not ist. In wirtschaftlicher Not. Haben wir denn vergessen, wie gut es uns hier geht?

Trotzdem kommt es zu Vorfällen wie in Köln, Berlin und Darmstadt. Was sagen Sie zu diesen sexuellen Belästigungen?

Wecker: Aha. Interessant. Und was ist mit dem Münchener Oktoberfest, wo Jahr für Jahr Vergewaltigungen stattfanden? Waren das Flüchtlinge? Nein! Ganz normale Deutsche.

Was sagt uns der Vergleich?

Wecker: Männer sind potenzielle Vergewaltiger in diesem patriarchalischen System, das weltweit herrscht. Natürlich gibt es unter den Menschen, die zu uns fliehen, ein paar Prozent, auf die man aufpassen muss. Auch ich will mir meine demokratisch errungenen Freiheiten nicht nehmen lassen. Ich will sie mir nicht von Nazis nehmen lassen und nicht von Islamisten.

Menschen in Not helfen wir gern, aber wir sind gegen kriminelle Zuwanderer – darf man das sagen, ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden?

Wecker: Natürlich! Auch ich bin gegen Kriminelle. In dieser Diskussionen geht es aber oft um nationalistisches Denken, man denkt an Deutschland, ans Vaterland. Gut, jeder hat seine Meinung, sein demokratisches Recht. Ich aber auch – und ich denke nie an Vaterland, das zählt für mich nicht.

Und was zählt für Sie?

Wecker: Ich lasse Heimat gelten, und meine Sprache. Ich bin beheimatet in Bayern, auch in der Toskana. Aber: Nationalismus gehört, erst recht nach 1945, auf die Müllhalde der Geschichte. Und wir müssen aufpassen, Rassismus ist eine Seuche.

Sie haben jüngst einige Shitstorms über sich ergehen lassen müssen. Was genau ist passiert?

Wecker: Ich bin beschimpft und bedroht worden – von Deutschen, überwiegend Männern: „Komm du nach Dresden, wir werden dir die Fresse polieren“.

Haben Sie Konsequenzen gezogen im Umgang mit sozialen Medien?

Wecker: Ja, indem ich nicht mit Hass geantwortet habe, obwohl ich das anfangs gern getan hätte. Ich schreibe weiter in den sozialen Medien, und ich will weiter an das Mitgefühl appellieren.

Zurück zur Kunst. Erleben Sie, nach all den Jahren des Komponierens, noch Glücksmomente beim Setzen von Tönen?

Wecker: Unbedingt. Besonders dann, wenn ein Lied rund geraten ist. Bei mir steht immer erst der Text, ich komme von der Lyrik. Prosa kann ich täglich schreiben. Aber bei Gedichten muss ich warten, bis es mir passiert. Und wenn ich den Text habe, trägt er die Musik bereits in sich.

Zwölf Töne, ein paar Akkorde: Ist das musikalische Spektrum noch nicht ausgereizt?

Wecker: Nun, da muss man durch. Wäre ich ein reiner E-Musiker, würde ich mir sicherlich bei jeder Komposition unglaubliche Gedanken machen: Das hatte ich schon, das hatten schon andere. Dass sich Klischees einschleichen, kommt vor. Zum Glück habe ich in der Band fantastische Musiker, die mir diese Klischees wieder austreiben.

Was war im Rückblick das beste Wecker-Album?

Wecker: „Genug ist nicht genug“ von 1977. Danach habe ich den Fehler gemacht, selber produzieren zu wollen. Das darf man nicht. Man braucht einen Fremdproduzenten, der nicht ganz so eitel ist wie der Künstler.

Wie viele Millionen Tonträger haben Sie bislang verkauft?

Wecker: Mir fehlt der Überblick. Ich weiß nur, dass es in den Siebzigern wohl schon über eine Million war. Aber ich hatte maßlos schlechte Verträge mit den Plattenfirmen. Ich habe meinen Lebensunterhalt hauptsächlich durch Konzerte verdient, weniger durch Plattenverkäufe.

Sie sind 69 geworden. Udo Lindenberg sagt, das sei ein gefährliches Alter für Künstler, siehe David Bowie, siehe Lemmy Kilmister. Wie sehen Sie das?

Wecker: Ab der 40 ist jedes Jahr ein gefährliches. Mein 16-jähriger Sohn hat mich kürzlich gefragt, welches Jahr ich gern noch einmal leben würde. Ich musste eine Weile überlegen.

Was war Ihre Antwort?

Wecker: Es ist das jetzige Jahr! Es gab tolle Jahre, auch leidvolle. Aber es gibt keines, auch in der Jugend nicht, das ich lieber leben möchte als das jetzige, weil mir das Bewusstsein fehlen würde, das ich jetzt habe. Dieses Bewusstsein ist mir wichtiger als jede Form von Jugendlichkeit.

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