Chow Chung-cheng und die Liebe zu den kleinen Dingen

Vor 100 Jahren wurde die Malerin und Schriftstellerin geboren - Bonner Haus der Sprache und Literatur erinnert mit Ausstellung und Lesung an die Künstlerin

Chow Chung-cheng und die Liebe zu den kleinen Dingen
Foto: Fischer

Bonn. Man hätte es ihr zugetraut, dass sie hundert Jahre alt würde. Nur hundert. Denn sie hatte das Gesicht einer mehr als tausendjährigen Allwissenden, Allessehenden, Alleshörenden. Aus diesem Fundus borgte sie ihre Kraft, wissend, dass sie nur ein winziges Kosmosteilchen war. Das aber funkeln sollte über alle Leben und Gedanken hinaus. Auch wenn andere ihren Wert nicht erkennen mochten, sie wusste um ihre Einzigartigkeit:

Chow Chung-cheng, geboren am 20. Juli 1908 in Anhwei/China. Tochter eines Mandarins und Enkelin eines Vizekaisers, aufgewachsen in einer reichen, gebildeten und konservativen Familie, in der Töchter keine Bedeutung hatten, außer verheiratet zu werden und viele Söhne zu gebären.

Es war daher äußerst ungewöhnlich, dass Chow Chung-cheng schon in frühester Jugend mit großem Temperament ihren Anspruch auf Entfaltung ihrer überaus reichlichen Begabungen durchsetzte. Nach erfolgreichem Privatunterricht erzwang sie als 15-Jährige durch Flucht aus dem Elternhaus den Besuch eines Lyzeums und später ein Studium in Paris.

Als erste Chinesin des 700 Millionen Volkes wurde sie an der Sorbonne in Staatswissenschaften promoviert. Während des Zweiten Weltkrieges - sie lehrt in Holland Sinologie - heiratet sie den deutschen Diplomaten Baron Georg von Köppen, mit dem sie seit 1956 in Bonn lebt.

Im zerbombten Hamburg aber wagt Chow Chung-cheng zuvor einen totalen Neubeginn. Neben aller wissenschaftlichen Arbeit konzentrierte sie sich auf ihre lange Zeit vernachlässigten künstlerischen Hochbegabungen vor allem im Bereich der bildenden Kunst und später der Literatur.

42-jährig nimmt sie in Hamburg in der Malklasse von Alfred Mahlau ein Studium auf, obwohl dieser sie zunächst nur als Modell akzeptieren mochte. Letzte Förderung ihres Talents erfährt sie in Stuttgart bei Willi Baumeister.

Fast nebenbei schreibt sie vielbeachtete Bücher über ihr Leben in China : "Kleine Sampan" (1957), "Zehn Jahre des Glücks" (1960), "König des Baumes" (1967), "Aber ein Vogel gehört zum Himmel und ein Fisch gehört zum Wasser (1973) oder "Sklavin Goldblume" (1974).

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung urteilt über die "Kleine Sampan": "Viel Poesie, aber auch viel Schwermut steckt in dem Buch. Die blumenhafte Sprache und die beigefügten Holzschnitte wecken Neugier, ja Sehnsucht nach einer so von Liebe zu den kleinen Dingen erfüllten Welt."

Vor allem ihre Malerei aber erregt Aufsehen. Von chinesischen Traditionen verbunden mit Techniken und Verfahren der neueren Entwicklung, ist die Frankfurter Rundschau beeindruckt, schreibt 1965, dass Chow sich von den französischen Informellen ebenso anregen lässt wie vom "Dripping" der Amerikaner:

"Die Alten hatten allerdings Lotos und Wasserfall, den Reiher am Fluss und das Fischerboot hinterm Schilf noch als Figuren ins Bild hineingenommen. Die Bilder und lesbaren Breitrollen der Chow Chung-cheng aber gehen weit über dieses Verfahren hinaus.

Schon liegt die Herbstfarbe auf dem Berg? - allein dieser Titel möge belegen, dass wir es hier mit einer Malerei zu tun haben, die eine traditionelle Weltsicht chinesischer Bildkunst mit einem anderen europäisch imprägnierten Vokabular neu zu gewinnen sucht."

Chow Chung-chen stand immer ein nahezu unbegrenztes Vokabular an Ausdrucksfähigkeit zur Verfügung. Auch noch in der kleinsten Kleinigkeit das Ganze, die Welt und deren Zusammenhänge zu erkennen, zeichnete sie aus.

In ihrer Malerei und in ihren Texten blieb sie unverwechselbar. Auch in ihrem Durchsetzungs-Willen. Nach dem Tod ihres Mannes flog sie mit dessen Asche zum gemeinsamen Grab nach Peking.

Um nach Bonn zurück zu kehren, dort im August 1996 zu sterben und danach Ruhe an der Seite Barons von Köppen zu finden. Neben vielen internationalen Einzelausstellungen und Ehrungen wurde sie auch in Bonn gewürdigt. Sie erhielt die Macke-Medaille der Stadt und durfte sich ein Jahr vor ihrem Tod ins Goldene Buch eintragen.

Das Bonner Haus der Sprache und Literatur erinnert an Chow Chung-cheng mit Ausstellung und Lesung im Bonner Kunstmuseum: Sonntag, 20. Juli, 11 Uhr.

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