Gelungener Überblick Bundeskunsthalle zeigt "Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde"

BONN · Der Geist der Revolution durchweht die Bundeskunsthalle, die mit Kasimir Malewitsch (1879-1935) einen ganz großen Impulsgeber des Jahrhunderts zu Gast hat.

 Kasimir Malewitsch malte um 1930 seine "Bauern".

Kasimir Malewitsch malte um 1930 seine "Bauern".

Foto: Bundeskunsthalle

Einer, der aber bei aller eigenen Radikalität dem Dynamikwahn der Revolutionäre und der Fortschrittsgläubigkeit der Avantgarde misstraute. Das macht die Sache spannend. Gleich im Entree der Bundeskunsthalle wird die Sonderstellung des Russen deutlich: In einem Raum sind Anfang und Ende versammelt, in der Mitte hängt wie in einem Schrein das "Selbstbildnis in zwei Dimensionen" (1915), ein geometrisch-konstruktives "suprematistisches" Bild.

Die Anfänge haben mit van Gogh und Gauguin, mit Matisse und insbesondere Monet zu tun, dessen sonnenumflutete "Kathedrale von Rouen, mittags" (1893) nachhaltige Wirkung hatte, wie Werke von 1906 zeigen. 21 Jahre später staffeln sich in einer Winterlandschaft schematische, bunte Hügel, Häuschen und Bäume bis zum Horizont - ein naiver und gleichwohl ungewohnter Blick auf die Welt.

Was in den dazwischen liegenden Jahrzehnten passierte, dokumentiert die gelungene Male-witsch-Schau der Bundeskunsthalle, Teil zwei einer Tournee, die im Amsterdamer Stedelijk Museum gestartet ist - 280.000 Besucher - und nach Bonn in der Londoner Tate Modern gezeigt wird. Die rund 300 Werke von Malewitsch und einigen Kollegen umfassende und von Ort zu Ort modifizierte Ausstellung speist sich aus den üppigen Beständen des Stedelijk, Leihgaben aus aller Welt, schließlich aus den Sammlungen Chardschijew und Costakis.

Malewitsch begegnet dem Besucher der farblich und räumlich sehr angenehm arrangierten Ausstellung als Suchender: Bis zur Hinwendung zum Suprematismus 1915 eignete sich Malewitsch die Stile seiner Zeit an; Jugendstil und Symbolismus, die harte Kontur und Farbigkeit Matisses hinterlassen Spuren im Werk.

Mit Cézanne und dessen Facettierung der sichtbaren Welt setzte sich Malewitsch tiefer auseinander - hier führt ein Weg heraus aus der Gegenständlichkeit und mitten in die Debatte mit Kubisten und Futuristen. Die Realität aufzusprengen, wie es die Kubisten um Picasso und Gris taten, und die Simultaneität von Bewegung, Zeit und Geräusch im Bild zu bannen, wie es den Futuristen gelang - all das hat Malewitsch herausgefordert.

Er erweiterte die russische Spielart des Kubofuturismus um die Facette des Februarismus, der Ratio und kausales Denken ausschaltete und zu wilden Bildern wie "Ein Engländer in Moskau" (1914) führte. Das Bild, eine Montage aus Schrift, Symbolen, Formen und Anspielungen, hängt in Bonn.

In schöner Ausführlichkeit dokumentiert die Schau auch die 1913 inszenierte futuristische Skandaloper "Sieg über die Sonne", zu der Malewitsch Kostüme und Bühnenbild beisteuerte. "Großmaul", "Feigling", "Totengräber" heißen die Protagonisten in ihren zackigen Kosmonauten-Kleidern.

Zwei Jahre zuvor hatte Malewitsch noch rumpelige Bauern gemalt. Von der Welt der Bauern bleiben bald nur noch die charakteristischen Farben Rot, Schwarz und Weiß übrig: Male-witschs Suprematismus (Latein: supremus, der Höchste), eine radikale Gegenstandslosigkeit, die auf die Überlegenheit von Farbe und Form setzt, wird mit einem Dutzend wunderbarer Gemälde dokumentiert.

Das Initialwerk des Suprematismus, "Schwarzes Quadrat", das Malewitsch in verschiedenen Versionen malte, ist in Bonn nicht vertreten, dafür das "Rote Quadrat" mit dem Zusatztitel "Malerischer Realismus einer Bäuerin in zwei Dimensionen" und etliche Kreuze. Augenfällig ist trotz aller Radikalität in der Abkehr von der Realität die Nähe zur russischen Ikone: Abstraktion, Frontalität, reduzierte Farbigkeit - all dies findet man in diesen Bildern, die den künstlerischen Nullpunkt suchen und auf dem Weg dahin das Einmaleins der Kunst streifen.

Malewitsch hat sich als Pädagoge etwa im Staatlichen Institut für Künstlerische Kultur in Leningrad bis 1927 Gedanken über die "Entwickelung" der Kunst gemacht, wie große Schautafeln zeigen und den Studenten Aufgaben wie "Entfernung der Krankheit des Eklektismus" und "die Entwickelung der reinen Empfindungen des Individuums" gestellt.

Möglicherweise ist Malewitschs schwer nachvollziehbare Hinwendung zu figürlichen Bildern Ende der 20er Jahre im Kontext der Analyse und Lehrtätigkeit zu finden. Eine letztendlich vollends befriedigende Erklärung für die Wende vom Suprematismus zu einem mitunter eher naiven, figurativen Stil bietet Bonn nicht.

Auch die herausragende und in etlichen Punkten überlegene Schau 1995/96 im Kölner Museum Ludwig - die das Frühwerk breit präsentierte - hatte da Defizite. Immerhin: Sie zeigte ein "Schwarzes Quadrat", "Die rote Kavallerie" und das Selbstporträt als Renaissancemensch. Faszinierend und einzigartig bleibt Malewitschs Weg, der sich in den 30er Jahren eben nicht dem Sozialistischen Realismus andiente, sondern zu einem eigenen figurativen Stil fand: eine bizarre Verbindung aus Volkstümlichkeit und Bauernkult, geometrischem Suprematismus und naivem Realismus.

Bundeskunsthalle Bonn; bis 22. Juni. Di, Mi 10-21 Uhr, Do-So 10-19 Uhr. Katalog (Kerber) 32 Euro

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