"Terror" im Contra-Kreis-Theater Bonner Publikum entscheidet auf Freispruch

Bonn · Im Contra-Kreis-Theater hatte das brisante Stück „Terror“ von Ferdinand von Schirachs Premiere. Zuschauer durften abstimmen.

 Die Staatsanwältin (Kerstin Gähte) hat einen schweren Stand. Im Hintergrund Karina Kircuk.

Die Staatsanwältin (Kerstin Gähte) hat einen schweren Stand. Im Hintergrund Karina Kircuk.

Foto: Contra Kreis

Keine Frage: Ferdinand von Schirachs „Terror“ ist das Theaterstück der Stunde. Seit der Uraufführung vor knapp einem Jahr haben es an die 30 Bühnen gespielt, allein bis zum Jahresende stehen noch weitere 13 Inszenierungen an. Die Sehnsucht, die aktuellen und drängenden Fragen der Zeit auf der Bühne verhandelt zu sehen, scheint groß zu sein. Sätze wie diese aus „Terror“ treffen zweifellos einen Nerv, formulieren unsere diffusen Ängste in immer schwieriger werdenden Zeitläuften: „Unser Staat ist den größten Gefahren ausgesetzt, und die Welt um uns droht einzustürzen.“ Oder: „Wir werden bedroht, unsere Gesellschaft, unsere Freiheit, unsere Art zu leben.“ Oder: „Wir müssen begreifen, dass wir im Krieg sind.“

Schirachs Schauspiel, das jetzt im Bonner Contra-Kreis-Theater als nicht nur heftig applaudierte, sondern vor allem vieldiskutierte Gemeinschaftsproduktion von Contra-Kreis und Jungem Theater Bonn Premiere hatte, kommt zunächst einmal als ein eher altmodisches, ganz einfach konstruiertes Gerichtsdrama daher, als Protokoll eines Prozesses, samt Rechtsbelehrung, Kreuzverhör und Plädoyers. Der Stoff freilich hat es in sich. Verhandelt wird der Fall des Luftwaffen-Piloten Lars Koch. Der Angeklagte hat – gegen den Befehl seiner Vorgesetzten – einen von Terroristen gekaperten Lufthansa-Airbus mit 164 Menschen an Bord abgeschossen. Die Terroristen hatten damit gedroht, das Flugzeug in die mit 70 000 Menschen gefüllte Münchner Allianz Arena stürzen zu lassen.

Ist Lars Koch ein Held oder ein Verbrecher? Darüber lässt Ferdinand von Schirach das Publikum entscheiden. Die Besucher sind die Richter, ihr Urteil wird am Ende verkündet und begründet. Darf man wenige opfern, um viele zu retten? Darf man unschuldige Menschen töten, um andere unschuldige Menschen vor dem Tod zu bewahren? Gibt es Entscheidungen, in denen das Gewissen über dem Gesetz steht? Wie steht es um das Verhältnis von Moral und Recht? Das Bundesverfassungsgericht hat vor zehn Jahren dazu eine Entscheidung getroffen, es kassierte einen Absatz aus dem Luftsicherheitsgesetz als verfassungswidrig. Leben, so die Verfassungsrichter, darf niemals gegen Leben aufgerechnet werden, das Grundrecht des Einzelnen auf Leben und die Garantie der Menschenwürde stehen über allem. Schirachs Stück, das das Theater zu einem Ort der moralischen Auseinandersetzung macht, ist kein Schauspiel, an dem sich Regisseure austoben können.

Lajos Wenzel verzichtet im Bonner Gerichtssaal des Contra-Kreis-Theaters (Bühne: Thomas Pfau) auf alle Ablenkungsmanöver, er inszeniert ein Rede-Drama, das von der mehr oder minder großen Überzeugungskraft seiner Schauspieler leben muss. Dies mag eine der Gefahren von „Terror“ sein, dass auch die Besetzung das Urteil beeinflussen könnte. In Bonn zumindest fasziniert Volker Risch als Verteidiger mit brillant durchkonstruierten Texten und emotionaler Überzeugungskraft, die Staatsanwältin (Kerstin Gähte mit einigen Textproblemen) hat dagegen einen schweren Stand.

Bernhard Dübe als Vorsitzender der Strafkammer gibt sich milde und ein bisschen leutselig, Bernard Niemeyer als angeklagter Pilot vermittelt das Porträt eines Menschen unter ungeheurer innerer Anspannung, im moralischen Dilemma zwischen persönlicher Verantwortung und Gehorsam. Mit Thomas Kahle als Zeuge kommt die mitunter überhebliche Stimme des Militärs ins Spiel, Katharina Felschen als Nebenklägerin, die bei dem Abschuss ihren Ehemann verloren hat, sorgt in stiller Hilflosigkeit für die berührendsten Momente des Abends.

Die Entscheidung des Bonner Publikums fiel eindeutig aus: Freispruch mit 147 gegen 61 Stimmen. Das entspricht der allgemeinen Tendenz: Von den bislang 436 Verhandlungen auf der Bühne endeten 93,6 Prozent mit einem Freispruch. Schirach hat zwei Schlüsse für sein Stück geschrieben, einen für den Freispruch, einen für die Verurteilung. Man kann sie nachlesen: Beide sind gut begründet, beide sind absolut plausibel. Und beide führen zum eigentlichen Kern des Stücks: dass es Grenzbereiche gibt, die sich durch keine Gesetze mehr regeln lassen.

Bis zum 23. Oktober auf dem Spielplan des Contra-Kreis-Theaters. Karten unter anderem in den Geschäftsstellen des General-Anzeigers

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