Beethoven Orchester bei den Mahler-Wochen in Toblach Bluniers glanzvoller Abschied

Toblach · Das Bonner Beethoven Orchester hat die Mahler-Wochen in Toblach eröffnet. Es war eine Sternstunde, die Summe dessen, was Stefan Blunier in den vergangenen acht Jahren zusammen mit dem Orchester geleistet hat.

 Berge, Nobelherberge und Musik: Im Mahler-Saal des Grand Hotels in Toblach ist das Beethoven Orchester aufgetreten.

Berge, Nobelherberge und Musik: Im Mahler-Saal des Grand Hotels in Toblach ist das Beethoven Orchester aufgetreten.

Foto: ga

Die Koinzidenz ist verblüffend: Letzte Werke beschäftigen sich nicht selten mit letzten Dingen. Mozarts Requiem ist das vielleicht prominenteste Beispiel, Franz Schmidts gewaltiges Apokalypse-Oratorium das vielleicht eindrucksvollste. Auch die neunte Sinfonie von Gustav Mahler mutet stellenweise wie ein Abschied an, ein letztes Aufbäumen und ein langsames Entschwinden aus der Welt – bis nichts mehr da ist.

So endet das Finale dieser Sinfonie, die Mahler 1909 in Toblach in Südtirol vollendet hat und die erst posthum 1912 uraufgeführt wurde. Ebendort, im 1999 erbauten Gustav-Mahler-Saal des Grand Hotels, eröffnete das Beethoven Orchester Bonn die diesjährige Musikwoche, die nach dem wohl berühmtesten Gast des kleinen Dörfchens im Pustertal benannt ist. Mahler verbrachte dort mehrere Sommer und komponierte in der Abgeschiedenheit einer kleinen Hütte seine monströsen Werke. Und auch bei diesem Konzert handelte es sich um einen Abschied: Es war die letzte Amtshandlung des scheidenden Generalmusikdirektors Stefan Blunier.

Doch was sich so bürokratisch anhört, war eine Sternstunde, die Summe dessen, was Blunier in den vergangenen acht Jahren zusammen mit dem Orchester geleistet hat. Am Ende jubelte nicht nur das Publikum, auch Blunier selbst war angesichts der grandiosen Leistung seiner Musiker hochzufrieden.

Dies sei das schönste Geschenk, das sie ihm zum Abschied machen konnten ließ er nach dem Konzert verlauten. Da konnte man ihm nur beipflichten, denn in der ausgezeichneten Akustik des gerade einmal 460 Plätze umfassenden Mahler-Saales zeigte das Beethoven Orchester erneut, dass es sich hinter den großen Orchestern, die an dieser Stelle schon gespielt haben, nicht im geringsten verstecken muss.

„Der erste Satz ist das Allerherrlichste, was Mahler geschrieben hat“, schrieb einst Alban Berg in einem Brief an seine Frau. Blunier leuchtete die unglaublich komplexe Textur dieser Musik mit dem Beethoven Orchester genauestens aus, so dass auch das dichteste Getümmel dieses schier unglaublichen Orchesterwahnsinns immer noch klar strukturiert, nachvollziehbar und gleichwohl mit mystischer Spannung aufgeladen schien.

Das seltsam ungelenk wirkende, jedoch sehr kalkulierte Hineinstolpern in die ersten Takte etwa oder die komplexe Verschachtelung scheinbar inkompatibler Rhythmen und Themen, all dies wurde sorgsam inszeniert und vom Beethoven Orchester genauestens nachvollzogen. Auch der zweite Satz mit seiner mitunter bis zur Karikatur überzeichneten Ländler-Thematik kam scharf akzentuiert, lustvoll-musikantisch und mit fast schon übermütiger Musizierlaune.

Wie gut Blunier sein Orchester im Griff hatte, zeigte sich nicht zuletzt an vielen Tempo- und Stimmungswechseln, bei denen er das Ruder scharf herumriss und ihm das Orchester stets schmiegsam folgte. Ein überschwänglicher Gestus, grelle Akzente und ein forscher Zugriff kennzeichneten auch den dritten Satz. Mahler-typisch waren hier vor allem die Kontraste, etwa wenn polyphone Episoden mit zuweilen stockendem Gestus urplötzlich in wüsten apotheotischen Trubel umschlugen. Auch diesen Spagat bekam das Beethoven Orchester in brillanter Weise hin.

Das Finale schließlich: ein unendlicher Abgesang, der mit einer traumhaften Streicherkantilene anhob und am Ende im zartesten Pianissimo verebbte. Hier erreichte die Musik nicht nur dynamische Grenzen, hier kratzte sie auch an metaphysischen Dimensionen, die auf rein musikalischer Ebene höchste und tiefste Töne, im übertragenen Sinne jedoch die ersten und die letzten Dinge sowie höchste Zartheit und größte Intensität beinhalteten.

Blunier hielt das Beethoven Orchester neunzig Minuten unter Hochspannung, bis zu den in Unhörbarkeit ersterbenden Schlusstakten. Ein wahrlich ergreifender Schluss der Ära Blunier.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Stunde der Sieger
Abschluss Deutscher Musikwettbewerb in Bonn Die Stunde der Sieger
Zum Thema
Aus dem Ressort
Muskelspiele
Ballett in der Kölner Philharmonie Muskelspiele