Limes in Bonn Bei der "Kopfnuss-Lesebühne" geht alles

BONN · "Musik-Cafe" nennt sich das Bonner Limes auch. Dort hat der Gast die Wahl zwischen 40 Sorten Bier. Heute ist es still in der Kneipe. Wo sonst jedes Spiel des FC St. Pauli live gezeigt wird, herrscht eine konzentrierte, erwartungsvolle Stimmung.

 Tritt bei der "Kopfnuss-Lesebühne" mit eigenen Texten auf: die 21-jährige Meret.

Tritt bei der "Kopfnuss-Lesebühne" mit eigenen Texten auf: die 21-jährige Meret.

Foto: Marcel Dörsing

Das Publikum macht vorsichtige Bewegungen, um keinen Lärm zu erzeugen. Gedimmtes Licht. Dann ertönt eine Frage über die Lautsprecher: "Wollt ihr Porno oder Saufen?" Die vorsichtige Antwort aus dem Dunkel des Raumes lautet "Porno". Und schon legt "Der Käpt'n" los.

Immer am letzten Mittwoch des Monats steht im Limes die "Kopfnuss-Lesebühne" auf dem Programm. Ihr Motto: "Lies mal vor, Du Opfer". Wer einen Text verfasst hat und ihn vortragen möchte, kann es hier tun. Der Vorleser, der in zwei Runden am besten ankommt, erhält 50 Euro Preisgeld. Das Publikum ist die Jury, stimmt per Handzettel nach jedem Beitrag ab.

Die erste Lesebühne nach der Sommerpause ist gut besucht. Fünf Teilnehmer präsentieren ihre Texte. Darunter ist auch Axel (35) aus Bonn, der sich nur "Der Käpt'n" nennt. Gerade noch hat er einigen Zuhörern mit einem schockierend offenen Erlebnisbericht über die Untiefen pornografischer Internetseiten die Schamesröte ins Gesicht getrieben, jetzt steht er im Finale, zusammen mit Christoph (17) und Meret (21).

"Meine Themen sind schwere Krankheiten, Perversionen und gesellschaftliche Randgruppen", sagt der 35-Jährige. "Ich mache hier nur mit, weil ich das Geld will, nein besser: Ich bin alt und brauche das Geld." Selbst an gesprochenen Sätzen scheint er noch zu feilen. "Die Wahrheit ist, er macht mit, um seinen Deckel zu bezahlen", wirft eine Bedienung ein. "Ja, so kann man das auch sagen", gibt sich der "Käpt'n" geschlagen.

"Bei uns gibt es keine Einschränkungen", sagt Jörn Bickert, der die Lesebühne mit Moderatorin Nora Noormann vor zwei Jahren ins Leben gerufen hat. "Kochrezepte, Hausfrauen mit Depressionen, Leute vom Kiez - hier geht alles", sagt Noormann. Und auch an diesem Abend reicht die Bandbreite der Werke von philosophischen Gedanken zur deutschen Sprache über kluge Alltagsbeobachtungen bis hin zu Gedichten und schrillen Kurzgeschichten. "Poetry Slam" wollen es die Veranstalter nicht nennen. "Wir haben es Lesebühne genannt, weil wir den Teilnehmern kein Zeitlimit setzen. Vor allem wollen wir verhindern, dass Neulinge und unerfahrene Autoren abgeschreckt werden", sagt Bickert.

Bei der Lesebühne soll weniger das Konkurrenzdenken im Vordergrund stehen, als das bei Poetry Slams oft der Fall sei. "Wir erleben es häufig, dass sich die Leute bei uns erstmals trauen, ihre Texte einer kleinen Öffentlichkeit zu präsentieren." "Das Bonner Publikum ist sehr offen, tolerant und fair", sagt der "Käpt'n". Angst, ausgebuht zu werden, muss keiner haben, der sich ans Rednerpult traut. "Wir sind so etwas wie die 'Sozialstelle der Literatur'", scherzt Noormann. "Wir hatten auch schon einmal einen Rocker, der von Post-it-Zetteln auf seinen Armen abgelesen hatte", erinnert sich Bickert.

Die Finalgeschichte des "Käpt'ns" dreht sich um den Besuch des Oktoberfests. Sie gipfelt in einer zünftigen Bierzeltschlägerei zwischen einem "irre grinsenden Italiener" und einem "sehr fetten Sachsen". Zum Tagessieg reicht es aber nicht. Der geht an Meret mit einem eher lyrisch-melancholischen Text.

"Wer mit einer Geschichte abblitzt, kann schon nächstes Mal gewinnen", sagt Jörn Bickert. "Es hängt ganz vom Publikum ab, und das ist jedes Mal anders." Auch morgen Abend will der "Käpt'n" wieder lesen. Dann feiert die Kopfnuss-Lesebühne im Limes ihre 40. Auflage.

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