Begegnung mit einem überzeugten Pazifisten

Bonner Bach-Gemeinschaft wagt sich an Brittens "War Requiem" - Ein Gespräch mit Chorleiter Gardeweg

Bonn. "Das ist sonst gar nicht meine Art", sagt Franz-Xaver Gardeweg. Aber dieses eine Mal musste es einfach sein, der junge Mann und seine Begleiter fassten sich ein Herz und gingen nach einem wunderbaren, zutiefst ergreifenden Schubert-Liederabend schnurstracks ins Künstlerzimmer der Wuppertaler Stadthalle, um sich bei den prominenten Künstlern zu bedanken.

Den Klavierpart hatte immerhin der britische Komponist Benjamin Britten übernommen, den Tenorpart dessen Lebensgefährte Peter Pears. Britten gefiel, dass die Musik die Studenten mitten ins Herz getroffen hatte. Und ob sie nicht eine gute Kneipe wüssten.

Sie wussten natürlich, und so zogen Britten, Pears, der damals 18-jährige Gardeweg und einige weitere Studenten los, tranken und redeten bis fast drei Uhr morgens. Ein unvergessliches Erlebnis - das man zwei Jahre später noch einmal wiederholte.

Die erste Begegnung liegt jetzt 40 Jahre zurück, ziemlich genauso lang also wie die Uraufführung von Brittens "War Requiem", das der Dirigent Gardeweg mit der Bonner Bach-Gemeinschaft und dem Konzertchor Köln am Samstag und Sonntag in Köln und Bonn aufführen wird und seit Wochen im Schulzentrum Pennenfeld einstudiert.

Gardeweg hatte Britten damals als einen politisch denkenden Menschen kennengelernt. "Wir haben über den Algerien-Krieg und den Krieg in Korea gesprochen", erinnert Gardeweg sich. "Britten war Pazifist. Für ihn gab es nichts, was einen Krieg rechtfertigen könnte." Die kompromisslose Haltung in dieser Frage finde sich auch in seiner Musik wieder. "Er war kein Vertreter des L''art pour l''art", weiß Gardeweg. "Er wollte mit seiner Musik Stellung beziehen." In dieser Hinsicht ist das "War Requiem" sicher das exponierteste Werk des englischen Komponisten.

Anlass für die Komposition war die Einweihung der neuen Kathedrale von Coventry, einer englischen Industriestadt, die von deutschen Bomben im November 1940 völlig zerstört worden war. 554 Menschen starben bei den Angriffen. Der Pazifist Britten wollte mit seinem Werk jedoch nicht die deutschen Aggressoren anklagen, er wollte - darin seinem Musiker-Kollegen Yehudi Menhuin verwandt - versöhnen.

Schon die Auswahl der Solisten sollte dies unterstreichen: Der Engländer Peter Pears sang die Tenorpartie, der Deutsche Dietrich Fischer-Dieskau den Bariton-Part, eine Entscheidung, die Britten gegen viele Widerstände in England durchzusetzen vermochte. Auch die Textauswahl, die die liturgischen Requiem-Worte mit neun Gedichten von Wilfred Owen kontrapunktiert, ließen an der pazifistischen Überzeugung des Komponisten keinen Zweifel: Owen hatte die Gedichte nach schockierenden Erlebnissen als Soldat im Ersten Weltkrieg geschrieben. Kurze Zeit nach der Niederschrift fiel er.

Die unverminderte Aktualität von Brittens "War Requiem" ist für Gardeweg eklatant. Vor allem nach den Reaktionen der USA und ihrer Bündnispartner auf die grausamen Anschläge des 11. September. Denn der Krieg gegen den Terror lenke von anderen, keineswegs weniger dringlichen Problemen ab: "Man vergisst, dass überall auf der Welt Kinder verhungern." Dass Britten mit dem "War Requiem" keine wohlfeilen Antworten auf die konkreten politischen Verhältnisse geben kann, ist Gardeweg natürlich klar: "Aber das Requiem stellt die richtigen Fragen!"

Die musikalisch zu formulieren, ist für die Ausführenden eine große Herausforderung. "Die Ansprüche sind enorm", sagt Gardeweg. "Es ist zwar tonale Musik, aber mit schärfsten Dissonanzen. Aber alles ist so geschrieben, dass man''s singen kann." Auch das bewundert Gardeweg an Britten.

Benjamin Brittens "War Requiem" wird am Samstag, 16. Februar, 20 Uhr, in der Kölner Philharmonie aufgeführt und am Sonntag, 17. Februar, 19 Uhr, in der Bonner Beethovenhalle. Ausführende: Adréana Julia Kraschewski (Sopran), Markus Schneider-Francke (Tenor), Thomas Laske (Bariton), Chor der Bonner Bach-Gemeinschaft, Konzertchor Köln, Mädchen und Knaben der Chöre am Kölner Dom, Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Franz Xaver Gardeweg (Leitung). Das Kölner Konzert ist ausverkauft, Kartenvorbestellungen für das Bonner Konzert unter Telefon (02 28) 33 34 80.

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