Der coolste Konzertsaal in Bonn Beethoven Orchester präsentierte sich im BaseCamp

Bonn · Das Beethoven Orchester unter Dirk Kaftan präsentierte sich mit neuer Musik im ausverkauften BaseCamp in Bonn. Das Publikum applaudierte stehend.

Um eine prägnante Formulierung ist Bonns Generalmusikdirektor Dirk Kaftan selten verlegen. Ein Beispiel: „Ich begrüße ganz herzlich in der Stadt, die sich hauptsächlich mit einem toten Komponisten befasst, einen lebendigen Komponisten: Miroslav Srnka!“ Das wirklich Ungewöhnliche an diesem Samstagabend im Bonner BaseCamp war freilich nicht die Tatsache, dass ein zeitgenössischer Tonschöpfer nach Bonn gekommen war, sondern, dass dieser lebendige Komponist vor einer Publikumsmenge stand, die man eigentlich eher bei Konzerten erwarten würde, wo Musik seines toten Kollegen Ludwig van Beethoven auf dem Programm steht.

„Ihr seid zu viele“, ließ denn Srnka das Publikum halb im Scherz wissen. Denn der Tscheche hatte sich als Kurator des Abends für den ungewöhnlichen Veranstaltungsort ein ebenso ungewöhnliches (Klang-)Raumkonzept ausgedacht. Für das Konzert hatte man das BaseCamp – eine mit zahlreichen historischen Wohnwagen und -mobilen bestückte, große Halle, die sonst als Hostel genutzt wird – in den coolsten Konzertsaal der Stadt verwandelt. Dabei bildete Srnkas eigenes Stück „Eighteen Agents for 19 Strings“ die Klammer: Am Anfang spielten die Streicher des Beethoven Orchesters es auf der Galerie, dann, am Ende des Programms, noch einmal unmittelbar neben dem Publikum.

Die Idee war, dasselbe Stück einmal als Klangwolke zu präsentieren und dann in einem radikalen Perspektivwechsel mit großer Detailschärfe wie unter einem Mikroskop. Am liebsten wäre es Srnka gewesen, die Musiker hätten ihre Hörer in einem Klangkreis umschlossen. Aber dafür waren einfach zu viele gekommen.

Wirkung war beeindruckend

Gleichwohl war die Wirkung beeindruckend. Das nach Srnkas Worten von der britischen Landschaft bei Aldeburgh und den dort zu beobachtenden Vogelschwärmen inspirierte Stück lebt vom Klang der Streicher, die Musik zieht in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und harmonischen Verdichtungen am Ohr der Hörers vorüber. Mitunter klingt es diffus, kaum fasslich, dann plötzlich wird der Klang ätherisch wie in Wagners Lohengrin-Vorspiel.

Mit diesem Stück wurden zwei weitere eingefasst. Es begann mit Steve Reichs Triple Quartet aus dem Jahr 2001, das laut Partituranweisung des Minimal-Music-Pioniers alternativ von einem Streichquartett und einem Zuspielband mit den beiden weiteren Quartettstimmen oder live von drei Streichquartetten aufgeführt werden kann.

Im BaseCamp war die gleichsam orchestrale zweite Variante zu hören. Die Musiker des Beethoven Orchesters entrollten das Klangband mit größter Konzentration, Virtuosität und Präzision, die zunächst einen immensen Sog erzeugte, dessen Energie im langsamen Satz sich plötzlich in einen Zustand des Verharrens verwandelte. Im dritten Satz springt dann der Minimal-Motor wieder an: energetisch und mitreißend.

Eine Welt neuer Klangfarben

Als dritter Neutöner kam der 1998 mit 52 Jahren verstorbene Franzose Gérard Grisey ins Spiel. Und mit ihm eine Welt neuer Klangfarben. Einmal durch die Erweiterung des instrumentalen Spektrums um Bläser und Schlagwerk, aber auch durch das eigentliche kompositorische Prinzip.

Grisey, bei dem Srnka gern studiert hätte, ist ein Vertreter der in Paris der 1970er Jahre entwickelten Spektralmusik, die über die traditionelle chromatische Tonleiter hinaus Mikrotöne aus der Obertonreihe verwendet, um die Klangfarben zu bereichern und zu intensivieren.

Kaftan und das Orchester verdeutlichten das mit dem Anfang aus Griseys „Partiels“ sehr schön, den sie einmal mit und einmal ohne zusätzliche Obertöne spielten. So sensibilisiert, lauschte das Publikum gebannt dem Verlauf des ganzen Satzes mit seinen aufscheinenden Farben, die am Ende aber in ganz prosaische Geräusche münden, Papierrascheln, Styroporreiben etwa, das die sphärische Musik schließlich wieder auf die Erde zurückholt. Am Ende des spannenden und inspirierenden Abends, dem in der vergangenen Woche als pädagogisches Begleitprogramm bereits ein Workshop mit 16 Jugendlichen vorausgegangen war, applaudierte das Publikum stehend.

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