Ausstellung "Neugierig?" macht erotische Versprechen

Die Suche nach der Kunst von morgen - Der Bundeskunsthalle gelingt eine spannende Bilanz der letzten Jahre

  Blick in die Kunstgeschichte:  Paulina Olowskas "Kryzys Kirchner", 2006.

Blick in die Kunstgeschichte: Paulina Olowskas "Kryzys Kirchner", 2006.

Foto: Franz Fischer

Bonn. Der Zettel an der Wand sorgt für Irritation: "Pierre Joseph: Le toréador mort, Fotografie 1992" steht dort, doch an der Wand sieht man nur nackte Haken - dafür liegt ein leibhaftiger, regungsloser Stierkämpfer auf dem Boden im ersten Raum der Ausstellung "Neugierig?". Ein Ereignis für einen Tag, denn dann hängt das Bild des Toten, eine Anspielung auf Manets "Torero", an der Wand - und der echte Torero ist weg.

Verschwunden wie das Werk des Mexikaners Mario Garcia Torres, das nur im Katalog zitiert wird, aber nicht in der Schau zu sehen ist. Flüchtig wie der Beitrag des Biennale-Vertreters von 2005, Tino Sehgal, der eine junge Frau im roten Aufseher-Kostüm mitten in "Neugierig?" strippen lässt. Irgendwann steht sie im Slip da und sagt den Titel des Kunstwerks auf: "Tino Sehgal: Sell Out, 2002, Collection Marc et Josée Gensollen, Marseille."

In zwei Schichten verkörpern insgesamt zwei Damen und zwei Herren während der Ausstellungsdauer Sehgals Kunst, eine "Darstellung des erotischen Versprechens", so Kurator Rainald Schumacher, die als überraschende Performance ganz anders daherkommt als Goyas nackte Maja oder Gerhard Richters Ema-Akt auf der Treppe.

Schumacher und Bundeskunsthallen-Intendant Robert Fleck betreten mit "Neugierig?", mit ihrer Suche nach der Kunst von morgen, Neuland. Und ein Ergebnis ihrer Recherchen ist, siehe oben, der unbefangene Umgang mit der Kunstgeschichte, viel unverkrampfter als bei den Vertretern der Postmoderne seit den 1980er Jahren.

So schlittern Mathieu Merciers absichtlich ramponierte Mondrian-Lookalikes auf dem schmalen Grat zwischen Hommage und Persiflage. Spielarten der quecksilbrigen Fluxus-Ära, etwa die Kunstform der Performance, kehren im neuen Gewand - oder auch ohne -, zurück. Torres' Statement von der Auflösung des Kunstwerks hätte auch gut in die Konzeptkunst der 1970er gepasst.

Die oft totgesagte Malerei kommt mit einer ungeahnten Wucht und differenzierten Sprache wieder einmal zurück - brillant: Thomas Scheibitz, Paulina Olowska und Lucy McKenzie. Fleck und Schumacher haben bei "Neugierig?" mit 15 hochkarätigen Sammlern aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz zusammengearbeitet.

Die Idee war, diese privaten Kunstexperten von Julia Stoschek über Christian Boros bis Harald Falckenberg, Gaby und Wilhelm Schürmann, Ingvild Götz und weitere Kollegen um einen Tipp aus der eigenen Sammlung zu bitten und daraus eine Ausstellung zu machen - auch die Bonner KiCo ist dabei.

Das Experiment ist geglückt: Vor unseren Augen entsteht nicht nur das spannende Profil einer durchaus mutigen Sammlerschar, die mit eigenem Geld junge Kunst kauft, die sich viele Museen nicht mehr leisten können, die den riskanten Weg geht, nicht nur auf Etabliertes zu setzen.

Mut haben auch Fleck und Schumacher bewiesen, indem sie für ihre Bilanz der ersten Jahre des neuen Saeculums eben nicht auf die 40 Hit-Künstler zurückgriffen, die bei jeder internationalen Auktion für Schlagzeilen sorgen, bei François Pinault im Palazzo Grassi oder der Punta della Dogana hängen oder im Ausstellungszirkus herumgereicht werden.

Ohne Stars wie Scheibitz, Fischli/Weiss mit ihrer wunderbaren, 800-teiligen Enzyklopädie der Werbung, oder den Chapman-Brüdern mit ihren vielfigurigen, blutigen Miniatur-Exzessen mit mordenden SS-Leuten, den Gemetzeln à la "Desastres de la guerra" von Goya, geht es wohl dennoch nicht.

"Neugierig?" zeigt unter den insgesamt 57 Künstlern aber auch eher unbekannte Positionen, die sich in einem Feld zwischen extremer Reduktion und einer bisweilen opulenten Erzählkunst bewegen. Voll davon steckt etwa die Wunderkammer "Operation Rose" der Gruppe Gelitin: Ein wahnwitzig konstruierter Labor- und Operationsraum, in dem ein fülliger rosa Stoffhase unters Messer kommt.

Birgit Brenner setzt einen imaginären Film über eine gescheiterte Beziehung in die bizarre und gleichermaßen beklemmende Rauminstallation "Die besten Jahre" um, in der Worte und Gefühle greifbar werden.

Während es sich hier um eine originelle und unbefangene Umsetzung aus dem Medium Film handelt, zeigt uns die Abteilung "Political Hallucinations", wie fein-ironisch und undogmatisch heute mit dem Genre der Polit-Kunst umgegangen wird.

Wer in diesem spannend arrangierten, witzigen Raum angekommen ist, trifft auch auf das "Neugierig?"-Kino, ein Geheimtipp: Das Programm mit Videos aus der Stoschek Foundation von Nathalie Djurberg, William Kentridge, John Bock, Cao Fei und vielen anderen lohnt einen Extra-Besuch.

"Neugierig?" ist ohnehin für kulturelle Wiederholungstäter geschaffen. Täglich wechseln Sehgals Stripper, und es gibt viele Gäste: Christian Boros kommt am 2. Februar, Kasper König, Marion Ackermann, Udo Kittelmann, Harald Falckenberg, der Nachbar Stephan Berg vom Kunstmuseum und weitere Prominenz machen "Neugierig?" zu einem Forum der jungen Kunst und einer Diskussionsplattform zum Verhältnis Sammler/Museum.

Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4; bis 2. Mai. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Katalog (Kerber-Verlag) 29 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort