Ausstellung im LVR-Landesmuseum Aus Chaos wird Kunst

Bonn · Das LVR-Landesmuseum in Bonn stellt in "Staged Confusion“ Arbeiten des Fotografen Boris Becker aus. Der Titel lässt sich mit "inszenierte Verwirrung" übersetzen.

 Aleppo in Syrien, wie Boris Becker die Stadt 2010 sah.

Aleppo in Syrien, wie Boris Becker die Stadt 2010 sah.

Foto: © B.BECKER UND VG BILD-KUNST BONN. LVR-LANDESMUSEUM

Wer in der zeitgenössischen Fotografie mit großen Formaten arbeitet, wird rasch verdächtigt, auf eine Strategie der Überwältigung, statt auf Inhalte zu vertrauen. Es hat sich herumgesprochen, dass der Effekt eines ins Riesenhaft aufgeblähten Fotos nach dem ersten Staunen über seine technische Präzision oft einen etwas faden Nachgeschmack hinterlässt.

Wo also hat das Großformat über seine schiere beeindruckende Präsenz hinaus auch eine inhaltliche Bedeutung? Zum Beispiel bei Boris Becker, dessen Ausstellung „Staged Confusion“ im LVR Landesmuseum Bonn unbedingt sehenswert ist. Der englischsprachige Titel, der in etwa mit inszenierte Verwirrung übersetzt werden kann, spielt dabei eine Rolle.

Boris Becker, der von Bernd Becher an der Kunstakademie Düsseldorf geschult wurde, hat sich in den letzten Jahren vorrangig auf die Suche nach Wirklichkeiten gemacht, die als Bilder verwirrende, unordentliche oder chaotische Zustände widerspiegeln. Da gibt es den Blick auf die schmutzige Ecke einer Werkstatt, in der einige der zahllosen Werkzeuge an ihrem festen Platz zu sein scheinen, während unterhalb der Werkbank das blanke Chaos herrscht. Andere Bilder führen den Betrachter in eine Küche mit vollgestellten Oberflächen oder frontal vor ein gigantisches Schiffswrack, dessen Rumpf nach einem Unglück aufgeschnitten wurde.

Beim Bild „Grieger“ sieht man sich auf drei Metern Länge Hunderten von kleinen Post-its gegenüber, die alle mit Namen beschriftet sind und zeigen, für wen das Düsseldorfer Digital-Labor Grieger so alles Abzüge macht. Tritt man näher heran, entdeckt man Namen wie Wenders, Struth, Gursky und Esser. Auch Boris Becker selbst fand sich auf diversen Post-its wieder. Aus der Entfernung betrachtet gewinnt das Großformat seine spezielle ästhetische Dimension, die fast an eine impressionistische Aquarellstudie erinnert.

So funktionieren viele von Beckers Bildern. Je nach Betrachtungsabstand liefert der Blick auf unsere komplexe Welt unterschiedliche Informationen. Nach der einordnenden Gesamtansicht gehen wir in die Details, der Rest ist Interpretation. Die gesteht Becker dem Betrachter nicht nur zu, sondern fordert sie ausdrücklich ein. Ob wir ein Psychogramm des Werkstatt- oder Küchenbesitzers machen, in den Spuren des Unglücksschiffes Tragödien erkennen oder auf den Post-its vertraute Namen entdecken wollen, bleibt zwar jedem selbst überlassen. Entziehen kann man sich dem Sog der Bilder, deren verloren gegangener Kontext ersetzt werden will, aber kaum.

Von den rund 30 Fotografien in der Ausstellung sind die meisten im Großformat und in analoger Technik entstanden, aber es spricht für die Beweglichkeit des Künstlers, dass er ebenfalls auf andere Formate und Techniken zurückgreift. In die vorgefundene Wirklichkeit greife er normalerweise nicht retuschierend oder verändernd ein, sagt Becker.

Außer ein Mal, bei der Aufnahme einer alten S-Bahnbrücke, als ein Baum die Ästhetik erheblich störte. Der Baum wurde gefällt, nun ist das Bild perfekt.

LVR-Landesmuseum, Colmantstraße 14-16, bis 20. März. Di–Fr und So 11-18, Sa 13-18 Uhr, Katalog Sieveking Verlag 19,90 Euro im Museum. Am 28.2. bietet Boris Becker um 16 Uhr eine Führung durch seine Ausstellung an.

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