Beethovenfest Appell an die Menschlichkeit

Bonn · Die Matinee zur Eröffnung mit dem Beethoven Orchester zeigt eindrucksvoll, wie aktuell Beethovens Musik heute noch ist. Am Wochenende verwandelt sich die Stadt in eine Bühne für den Musikernachwuchs, am Abend spielen im WCCB Gäste aus Russland.

 Generalmusikdirektor Dirk Kaftan mit der Sopranistin Sophia Brommer und dem Beethoven Orchester in der Uni-Aula

Generalmusikdirektor Dirk Kaftan mit der Sopranistin Sophia Brommer und dem Beethoven Orchester in der Uni-Aula

Foto: BARBARA FROMMANN

Nach dem Schlussakkord der Eröffnungsmatinee zum Beethovenfest in der Aula der Bonner Universität standen die Besucher auf und applaudierten ergriffen und aus vollem Herzen.

Sie hatten eine knappe Stunde lang der vom Beethoven Orchester unter Leitung von Dirk Kaftan gespielten Musik Ludwig van Beethovens zu Goethes Trauerspiel "Egmont" zugehört, die an diesem Samstagmittag in einer Weise präsentiert wurde, wie die meisten sie wohl noch nie zuvor erlebt haben dürften: als Requiem auf eine der großen Menschheitstragödien des 20. Jahrhunderts, die sich 1994 in Ruanda abspielte, als Truppen der Hutu-Mehrheit die Angehörigen der Tutsi-Minderheit zu Hunderttausenden brutal abschlachteten.

Vor diesem düsteren Hintergrund spielt das Monodram "The General". Darin verwebt der renommierte britische Musikkritiker und -schriftsteller Paul Griffith Beethovens komplette "Egmont"-Musik sowie Ausschnitte aus weiteren Schauspielmusiken des Komponisten mit dem autobiografischen Bericht des kanadischen UNO-Generals Roméo Dallaire über den Völkermord, der 2008 in Deutschland als "Handschlag mit dem Teufel - Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda" erschien.

Der von dem Schauspieler Markus Meyer gelesene Text geht an die Nieren, zeigt auf beklemmende Weise die unfassbare Brutalität, mit der die marodierenden Horden vorgingen und den Zynismus der Weltpolitik, die sich auf die Rolle des Zuschauers beschränkte. Die Hilferufe, die der General absetzte, verhallten im Nichts. "Sichere, was in Deiner Nähe ist, trauere nicht um den Rest", sagte man ihm.

Über die Blauhelm-Mission sagt er bitter: "Wir waren dort, um zu fliehen. Eine Flagge so blau wie der Himmel, eine Flagge so leer wie der Himmel." Es ist schon erstaunlich, wie stark die Musik Beethovens in diesem neuen Kontext wirkt. Wie sie ihre Kraft entfaltet. Das kann freilich nur funktionieren, wenn sie mit solcher Leidenschaft, solchem Furor gespielt wird, wie man sie an diesem Morgen vernahm. Hier wurde nicht dem Titan Beethoven gehuldigt, sondern der Komponist beim Wort genommen in seiner Mission für eine bessere Welt, oder zumindest für eine Welt, in der es noch so etwas wie Mitleid gibt.

Berührend auch die Gesangsszenen in dem Stück, wie die fabelhafte Sopranistin Sophia Brommer Clärchens "Freudvoll und leidvoll" (natürlich mit neuem Text: "Verloren verzweifelt") sang oder zusammen mit dem von Paul Krämer einstudierten Philharmonischen Chor der Stadt Bonn am Ende Beethovens Opferlied op. 121b anstimmte. Der Beifall danach galt auch Griffith selbst, der zur Aufführung gekommen war, elf Jahre, nachdem es unter dem Dirigenten KentNagano und Maximilian Schell als Sprecher in Montreal uraufgeführt worden war.

Dass das Beethovenfest in diesem Jahr auch politische Züge tragen werde, hatte Intendantin Nike Wagner zuvor bereits in ihrem traditionellen Festvortrag zur Eröffnung des Festivals angekündigt, den sie vielsagend "In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne" überschrieben hatte. Sie leuchtete die Pfade aus, die das Publikum auf den Spuren des Schicksals im aktuellen Festival verfolgen kann, setzte sich aber auch intensiv mit dem in diesem Jahr mottogebenden Begriff "Schicksal" selbst auseinander.

Sie fragte mit Peter Sloterdijk, ob das Wort nicht längst in das "Seniorenheim der Begriffe" gehöre. Aber ihr gelang nach einem langen Exkurs in die Ideengeschichte des "Schicksals" von der griechischen Antike bis in die Neuzeit, in der sie das Wechselspiel von Schicksalsergebenheit und Widerstand betrachtete, aufzuzeigen, dass der Begriff noch immer sehr lebendig ist.

Das Reden über Schicksal ist allerdings oft auch mit einem gewissen Pathos verbunden. Manchmal auch mit einem etwas ungesunden, vor allem auch in militärischen Kontexten. Dagegen kann die Musik eine wirksame Medizin sein, wie das Beethoven Orchester zu Beginn der Matinee mit fünf Stücken aus den "Zehn Märschen, um den Sieg zu verfehlen" des vor zehn Jahren verstorbenen Mauricio Kagel demonstrierte. Deren stolpernde Rhythmen, die aus unterschiedlichen Orten im Saal und im Innenhof der Uni erklangen, sind bestens dazu geeignet, jede Armee dieser Welt aus dem Tritt zu bringen.

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