Premiere im Kleinen Theater "Anna Karenina" - Anouschka Renzi brilliert in der Titelrolle

Bonn · "Liebe ... ich mag dieses Wort nicht. Weil es für mich zu viel bedeutet. Viel mehr, als Sie sich vorstellen können." Ominöse Worte, die Anna Karenina an Graf Wronskij richtet. Schon ihre erste Begegnung auf einem Bahnsteig ist schicksalhaft.

 Paarweise: Anna Karenina (Anouschka Renzi) und Wronskij (Matthias Schuppli) in der Mitte der Tanzgesellschaft.

Paarweise: Anna Karenina (Anouschka Renzi) und Wronskij (Matthias Schuppli) in der Mitte der Tanzgesellschaft.

Foto: Kleines Theater

Blicke, die sich treffen und eine Spur hinterlassen. Eine tiefe Spur. Auf einem Ball sehen sie sich wieder, und Wronskijs Nasenflügel beben, als er sie zum Tanz auffordert. "Ohne Sie bin ich in einer Welt voller Fremder", raunt er ihr ins Ohr, während sie über das Parkett wirbeln. Ihre Antwort darauf hätte er sich einrahmen sollen: "Ich überlasse Sie der Welt."

Nach dem epischen, 1878 erstmals veröffentlichten Romanklassiker von Leo Tolstoi haben Katalin Glavinic und Rolf Heiermann eine Bühnenfassung erstellt, welche die Handlung zwangsläufig enorm verdichtet, auf eine Essenz von zwei Stunden Spieldauer plus Pause.

Nach der Spielzeit am Schlosstheater Neuwied feierte "Anna Karenina" jetzt Premiere im Kleinen Theater Bad Godesberg. So viel vorweg: Verdienter, lang anhaltender Applaus und viele Bravos für das hoch konzentrierte, mit Verve spielende Ensemble.

Anna Karenina (überwältigend: Anouschka Renzi) beginnt sie dann doch, die Affäre mit dem Grafen Wronskij (jungenhaft-erfrischend: Matthias Schuppli). Es wird die große Liebe. Die alles verzehrende Liebe.

Annas Ehemann, der hohe Beamte Alexej Karenin (Karl-Heinz Dickmann), beileibe kein Tyrann, zeigt sich sogar noch gewissermaßen kulant. Die glückliche Ehe müsse zum Schein gewahrt bleiben; lasse Anna sich allerdings scheiden, dann dürfe sie den gemeinsamen Sohn nicht wiedersehen. Doch während Anna auf ihrem Weg längst nicht mehr zurück kann, findet sich um sie herum weitaus beständigeres Glück auf solidem Boden.

Die Ehe ihres Bruders Stiwa Oblonskij (jovial-schlawinerhaft: Holger Franke) und seiner Frau Dolly (sehr apart: Sandra Krolik) übersteht Krisen, und Dollys Schwester Kitty (unbedarft süß: Barbara Maria Sava) findet ihr Glück in dem draufgängerischen Lewin (kernig: Alexander Hanfland). Und Anna Karenina? Gräfin Wronskaja (mit Noblesse verkörpert von Hörspiel-Legende Dagmar von Kurmin) hat eine Vision, was die Geliebte ihres Sohnes betrifft: "Es könnte eine einsame Zukunft für sie werden." Wie endgültig einsam, das weiß nur Anna selbst.

Tolstois Roman ist schwere Kost, die Bühnenfassung ist es natürlich ebenfalls, aber sie ist dank eines glänzenden Ensembles auch fesselnd, ganz und gar packend, schmerzvoll berührend. Auflockerung bieten lediglich der kräftige Schmunzler ob des fliegenden Kandiszuckers in der Teestunde von Dolly und Lewin sowie das unbeschwerte italienische Intermezzo von Anna und Wronskij. So zart, kostbar und vergänglich ist das Glück.

Anouschka Renzi macht "Anna Karenina" zu einem Triumph, weil sie in diesen zwei Stunden Anna Karenina ist. Die Schauspielerin beweist eine faszinierende Bühnenpräsenz, ihre Auftritte besitzen eine eigene, magische Leuchtkraft. Anouschka Renzi spielt, als ginge es um ihr Leben. Es ist das Maximum für diese Titelrolle.

Die nächsten Termine unter www.kleinestheater-badgodesberg.de

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