Interview vor der Premiere „Eine Geschichte der Auferstehung“

Bonn · Der amerikanische Star-Regisseur Peter Sellars spricht im Interview über John Adams' Oratorium „The Gospel According to the Other Mary“, für das er das Libretto schrieb und das er in Bonn als szenische Erstaufführung inszeniert. Premiere ist Sonntag, 26. März, in der Bonner Oper.

 „Ich konnte die Passion nicht Karfreitag enden lassen“: Peter Sellars in der Bonner Oper.

„Ich konnte die Passion nicht Karfreitag enden lassen“: Peter Sellars in der Bonner Oper.

Foto: Thilo Beu

Was war Ihre Motivation, das Textbuch für ein Oratorium zu schreiben? Ist das nicht ein etwas altmodisches Genre?

Peter Sellars: Ich habe eine Menge Zeit in meinem Leben damit verbracht, Händels Oratorien auf die Bühne zu bringen. Es sind großartige Werke. Ich finde, „Theodora“, „Jephta“ oder „Saul“ sind sehr viel dramatischer als seine Opern. Oratorium ist nicht nur Theater. Es ist mehr als Theater.

Welche Eigenschaft des Oratoriums macht diesen Effekt aus?

Sellars: Es bietet Raum für Besinnung, Kontemplation und für tiefe Gefühle. Es ist in jeder Hinsicht weiträumig angelegt, nicht so konzentriert auf das Drama, wie in einem Batman-Film, wo es in jeder Minute nur um die Action geht. Das Oratorium ist Action plus Fühlen plus Denken. Und zwar alles zur selben Zeit. In der Frühzeit des Oratoriums im England des 18. Jahrhunderts wurden hier politische Fragen angesprochen. Das Oratorium bot gerade in schwierigen Zeiten die Möglichkeit, mit den Leuten beispielsweise über Gerechtigkeit zu sprechen, darüber, wie ihre Gesellschaft beschaffen sein sollte. Das Oratorium war ein Projekt der Aufklärung.

Bevor Sie mit John Adams das Oratorium „The Gospel According to the Other Mary“ schrieben, haben Sie mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern Bachs große Passionen nach Matthäus und Johannes halbszenisch erarbeitet. Welchen Einfluss hatte das?

Sellars: Die Historie unseres Oratoriums besteht aus zwei Teilen. Zum Jahrtausendwechsel komponierte John Adams „El Niño“ (ebenfalls auf einen Text von Peter Sellars), ein Weihnachtsoratorium. Das war etwas Besonderes, denn alle anderen Künstler dachten sich damals sehr futuristische Dinge aus. John Adams war wohl der Einzige, der den Anlass ernst nahm und sagte, 'Ich will ein Stück über die Geburt Jesu schreiben'. „El Niño“ wurde zu Teil eins unseres Oratorienprojektes. Als er mir später irgendwann vorschlug, auch das Leiden Jesu zu vertonen, arbeitete ich gerade in Berlin an der Matthäuspassion. Mir war aufgefallen, dass auch Bach biblische und zeitgenössische Texte miteinander verbindet. Bachs Passion blickt immer wieder nach vorn und zurück. Ich wollte aber auch viele Dinge tun, die Bach nicht getan hat. Wir haben keinen Judas, keinen Pilatus.

Aber dafür taucht „die andere Maria“ im Titel Ihres Oratoriums auf.

Sellars: Schon Bach hat ja Maria Magdalena stark in den Vordergrund gerückt. Sie hat die meisten Arien in der Matthäuspassion. Hier haben wir also Bachs Faden wiederaufgenommen, wenn wir die Geschichte aus der Perspektive Maria Magdalenas erzählen. Sie ist Jesus sehr nah, sie leben in den letzten zwei Wochen seines Lebens zusammen. Und was passiert, fünf Tage bevor die Matthäuspassion beginnt? Ihr Bruder Lazarus stirbt und Jesus erweckt ihn wieder zum Leben.

Diese Episode füllt den größten Teil des ersten Aktes Ihres Oratoriums...

Sellars: Weil hier die Geschichte der Wiederauferstehung beginnt. Jesus hätte ihn heilen können, ließ ihn jedoch sterben. Dass er ihn wieder zum Leben erweckte, ist wie eine Probe für seine eigene Wiederauferstehung, mit der unsere Passion endet. Schon wegen der schrecklichen Dinge, die zurzeit jeden Tag in der Welt passieren, konnte ich nicht wie Bach die Passion mit Karfreitag enden lassen, wo der Mensch, den wir lieben, tot und begraben liegt und jeder sehr traurig ist.

Sie haben schon häufig mit John Adams zusammengearbeitet. Was fasziniert sie an seiner Musik?

Sellars: Als ich Anfang der 1980er Jahre zum ersten Mal John Adams' Musik hörte, habe ich festgestellt, sie ist in der Lage, echte Spannung zu erzeugen. Etwas, das zum Beispiel bei John Cage, den ich sehr liebe, nicht möglich ist, weil in seiner Musik des Zufalls immer alles passieren kann. Aber mit der westlichen Harmonik lassen sich Spannungsmomente und Höhepunkte erzeugen. Und ich dachte: John Adams ist ein Musiker, der schreibt in der Sprache des Dramas.

Also in Ihrer Sprache?

Sellars: Ja. Und zwar schon in seinen frühen Stücken wie „Shaker Loops“. Ich dachte mir damals, dieser Mann sollte Opern schreiben.

„The Gospel“ hat auch eine starke politische Aussage. Sie schrieben das Stück, als Barack Obama noch Präsident war. Hat die Wahl von Donald Trump Ihre Sicht auf das eigene Werk verändert?

Sellars: Diese Themen waren für Adams und für mich schon sehr wichtig während der Clinton-Ära. Schon Clinton hat die staatliche Fürsorge in Amerika gekürzt und startete mit seiner „Immigration Bill“ von 1995 die Massendeportationen. Schon damals begann der Angriff auf die armen Bevölkerungsschichten in Amerika. Diese Entwicklung ist also nicht neu, sondern wird nur immer noch extremer. Unter Barack Obama wurden dreimal so viel Menschen deportiert wie unter George Bush. Drei Millionen Menschen hat er des Landes verwiesen. Die staatliche Fürsorge hat er auch nicht wirklich zurückgebracht. Die Armut im Land ist schockierend. Während die Milliardäre so viel haben wie nie zuvor in der Geschichte unseres Planeten. Trump treibt diesen Wahnsinn nur auf die Spitze. An dem Tag, als er gewählt wurde, habe ich begonnen, die Tagebücher von Joseph Goebbels zu lesen. Die sind das Skript für seine Politik.

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