Neu im Kino „Der seidene Faden“ ist ein brillantes Beziehungsdrama

Bonn · Das Verhältnis zwischen Genie und Muse ist ein ebenso beliebtes wie klischeebeladenes Filmsujet. Aber P.T. Andersons „Der seidene Faden“ bringt frischen Wind in das etwas abgelebte Genre.

"Ich kann den Tag nicht mit einer Konfrontation beginnen“ sagt Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) und lässt den Satz wie ein Todesurteil klingen. Der Modeschöpfer sitzt am Frühstückstisch mit seinem Skizzenblock. Am Morgen habe er nun einmal seine kreative Phase, erklärt die Schwester und Geschäftspartnerin Cyril (Lesley Manville).

Eine Geliebte, die beim Frühstück Aufmerksamkeit von ihm einfordert, hat im Hause Woodcock wenig Überlebenschancen, auch wenn sie für eine gewisse Weile dem Meister als Inspirationsquelle diente. Ihre Koffer werden gepackt, ein Taxi bestellt und die Tür leise hinter ihr geschlossen. Aber Woodcock kann auch anders: Wenn er wenige Filmminuten später in einem Landgasthof bei Alma (Vicky Krieps) eine nicht enden wollende Frühstücksbestellung aufgibt, dann choreografiert er die Aufzählung der Zutaten als Verführungsszenario. Als er die Rechnung bestellt und Alma zum Dinner einlädt, zieht diese den bereits vorgeschriebenen Zettel mit ihren Kontaktdaten aus der Tasche.

Das Date führt nicht ins Schlafzimmer, sondern ins Atelier, wo der Couturier die Maße seiner Eroberung aufnimmt. Damit ist Alma offiziell des Meisters neue Muse, die mit all ihrer rotwangigen Frische nicht ahnt, auf was sie sich da eingelassen hat. Aber sie lernt schnell, findet sich nicht mit der Passivität ihrer Rollenzuweisung ab, mischt sich ein ins Modeunternehmen und buttert am Frühstückstisch ihren Toast in ohrenbetäubender Weise.

Gelungene Abmischung zwischen Naivität und Unverfrorenheit

Das Verhältnis zwischen Genie und Muse ist ein ebenso beliebtes wie klischeebeladenes Filmsujet. Aber P.T. Andersons „Der seidene Faden“ bringt frischen Wind in das etwas abgelebte Genre, indem er nicht nur feine Ironie, sondern vor allem psychologischen Detailwillen in das klaustrophobische Beziehungs-Setting injiziert. Es ist nicht der übliche künstlerische Genie-Machismo, mit dem Day-Lewis den hochbegabten Modeschöpfer charakterisiert.

Viel feiner zeichnet er das Porträt eines Mannes, der nur für und durch seine Arbeit lebt, auch aus der eigenen Fragilität Kreativität schöpft und seine Lebensprioritäten wie einen Schutzwall um sich aufgebaut hat. Alma wiederum, die die fabelhafte Krieps („Das Zimmermädchen Lynn“) mit einer gelungenen Abmischung zwischen Naivität und Unverfrorenheit spielt, rennt nicht blind gegen die Barrikaden an, sondern unterminiert die Egozentrik des deutlich älteren Geliebten mit strategischem Geschick, gesunden Überlebensinstinkten und wirksamen Pilzrezepturen. Daraus entsteht ein interessantes Geschlechterkampfduell, das sich einfachen Stereotypisierungen entschieden verweigert.

Das Ganze ist eingebettet in die stilvolle, cremefarbene Modewelt der britischen Fünfziger, in denen Woodcocks Kreationen von den Damen der besseren Gesellschaft wie Rüstungen getragen werden. Anderson entwickelt ein gutes Gespür für die eigenwillige Sinnlichkeit dieses Biotops und wenn die Kamera über Schnittmusterbögen und Gewänder gleitet, glaubt man die Textur der flämischen Klöppelspitze mit den Händen spüren zu können. Day-Lewis hat angekündigt, sich nach diesem Film in den schauspielerischen Ruhestand zu begeben und liefert hier eine Performance von geradezu monumentaler Präzision.

Die große Entdeckung dieses Films ist jedoch Krieps, die sich, ähnlich wie ihre Figur, mit überraschender Gelassenheit und schauspielerischer Frische auf Augenhöhe zu dem Meister vorarbeitet.

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