Diskussion im Kanzlerbungalow „So sollten wir nicht miteinander umgehen“

Bonn · Höhen und Tiefen einer Partnerschaft: Diskussion über den Briefwechsel zwischen Willy Brandt und Helmut Schmidt im Bonner Bundeskanzlerbungalow. Meik Woyke hat die 717 Briefe der Jahre 1958 bis 1992 herausgebracht.

 Der Visionär und der Pragmatiker: Willy Brandt und Helmut Schmidt 1965 in Bad Godesberg.

Der Visionär und der Pragmatiker: Willy Brandt und Helmut Schmidt 1965 in Bad Godesberg.

Foto: picture alliance / dpa

War es Freundschaft, was die beiden Alpha-Männer und Lichtgestalten der Sozialdemokratie, Willy Brandt und Helmut Schmidt, verband? Mit dieser zentralen, aber schwierigen Frage stieg Moderator Helge Matthiesen, Chefredakteur des General-Anzeigers, in die Diskussion ein. An einem Abend, an dem es um den Briefwechsel der beiden SPD-Granden und -Diven ging, an dem nicht ein einziges Mal das verschwitzte Wort Männerfreundschaft fiel und man an einem geschichtsträchtigen Ort politische Rückschau hielt: im Bundeskanzlerbungalow, den Brandt fast nur für Empfänge und Partys nutzte, den Schmidt und seine Loki acht Jahre lang bewohnten. Eine Armeslänge von der Stelle entfernt, wo sich Schmidt einst beim Klavierspiel entspannte (und auch Udo Jürgens einmal in die Tasten griff), saß die Diskussionsrunde.

Nein, Freunde seien sie nicht gewesen, sondern eher politische Partner, sagte der Historiker Meik Woyke, der den Briefwechsel von Brandt und Schmidt bearbeitet hat: „Sie erkannten schnell, dass sie füreinander und für die SPD wichtig waren.“ Diese Partnerschaft „mit Brüchen und Spannungen“ habe von 1958 bis zu Brandts Tod im Jahr 1992 gehalten. Beide respektierten einander, „sie waren politische Vollprofis, ganz selten spielten persönliche Befindlichkeiten in den Briefen eine Rolle“, merkte Woyke an, selbst wenn man sich nach dem Wohlbefinden erkundigt habe und die Gattin des anderen grüßen ließ, sei der Charakter der Briefe „politisch funktional“ geblieben.

Was bringt zwei Männer, die sich zumindest zeitweilig fast täglich sahen und sprechen konnten, dazu, sich mehr als 700 Briefe zu schreiben? Dieser Frage ging der Bochumer Historiker Bernd Faulenbach nach. „Beide hatten den Eindruck, dass man von Zeit zu Zeit nachdenken und das dem anderen mitteilen musste“, sagte er. Schmidt sei dabei fleißiger, impulsiver, ausführlicher gewesen, Brandt knapper. „Aber sie nahmen sich ernst, Respekt war einer der Grundzüge.“ Der Briefwechsel habe dazu gedient, das Verhältnis der beiden Männer „auszutarieren“, ergänzte Woyke.

Waren sie Rivalen? Sie waren Weggefährten beim Aufstieg an die Spitze der SPD, vertraten nach Bildung der Großen Koalition (1966-1969) mit Brandt als Vizekanzler und Außenminister – Schmidt war SPD-Fraktionsführer – mitunter gegenläufige Positionen. Eine Tendenz, die während der anschließenden sozialliberalen Koalition unter Kanzler Brandt mit Schmidt als Verteidigungs-, später Finanzminister noch zunahm. Woyke berichtete von großen Spannungen insbesondere im Jahr 1972 und einem Stimmungswechsel nach dem Rücktritt Brandts 1974 (zu dem es keine Briefe gibt). Der neue Kanzler hieß Schmidt, „Brandt wurde zum Bittsteller“, so Woyke. Als Schmidt am 1. Oktober 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt wurde, setzte eine erneute Eiszeit ein. Zwischen den beiden Männern herrschte „tiefe Verstimmung“ (Woyke), zumal beide die Presse zur Bühne ihrer Auseinandersetzung nutzten.

Kritischer Artikel im "Vorwärts"

„1986 stand das Verhältnis auf der Kippe“, meinte Woyke und bezog sich auf einen kritischen Artikel im SPD-Parteiblatt „Vorwärts“, in dem von einer „Blutspur der hier noch herrschenden Klasse“ die Rede war und Schmidt dort eingereiht wurde. Doch nicht nur diese „skandalöse Veröffentlichung“ ärgerte Schmidt, auch dass ein in dieser Sache geschriebener Brief von Brandt an Schmidt zuerst in der „FAZ“ zu lesen war, sorgte für Ärger. Ungewöhnlich scharf schreibt er an Brandt: „Ich finde, so sollten wir nicht miteinander umgehen.“ Das Schreiben endet süffisant mit: „Durchschriften dieses Briefes gehen nicht an die Presse, wohl an die Empfänger Deiner Kopien.“

Für den Historiker Faulenbach öffnen diese Briefe den Blick „in die Innenseite der Macht“. Der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, wertet dieses Kompendium als „Werbung für den politischen Dialog“. Es sei bemerkenswert, sagte er in seinem Grußwort zu Beginn des Abends, „dass man unterschiedlicher Meinung sein kann und doch mit größtem Respekt an die Lösung der Aufgaben geht“.

Brandt und Schmidt seien großartige Rhetoriker gewesen, erinnerte Karsten Brenner von der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung. Der Briefwechsel dokumentiere, dass Brandt entgegen gängiger Klischees „nicht nur Visionär, sondern auch Pragmatiker war“ und Schmidt „nicht nur Macher, sondern einer, der über den politischen Tellerrand schaute“. Stefan Herms von der Helmut-und-Loki-Schmidt-Stiftung wusste zu berichten, dass Schmidt darauf bestanden hatte, dass der gesamte Briefwechsel veröffentlicht werde, um ein komplettes Bild dieser Zeit zu ermöglichen.

Hans Walter Hütter, als Präsident des Hauses der Geschichte quasi Hausherr des Kanzlerbungalows, hatte zu Beginn nicht nur die historische Bedeutung der Briefe hervorgehoben, sondern auch die auf Form achtende Kultur des Briefschreibens. „Etwas anderes als das, was wir heute in E-Mails und mit SMS machen.“

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