Interview mit Österreichs Nationalpräsidenten Wolfgang Sobotka: "Ort der demokratischen Bildung"

Bonn · Seit 100 Jahren besteht die Republik Österreich, aber eine Ausstellung vergleichbar dem Bonner Haus der Geschichte fehlt dem Land bisher. Darüber wird seit Jahren debattiert.

 Österreichs Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im Interview.

Österreichs Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im Interview.

Foto: Benjamin Westhoff

Sobotka informierte sich über Struktur und Arbeit der Einrichtungen und sammelte Anregungen für die weitere Debatte in Österreich. Mit einer Ausstellung in der Hofburg in Wien zum 100. Geburtstag der Republik im November 1918 ist ein Anfang gemacht. Sobotka ist jedoch noch nicht zufrieden. Die Ausstellung sei in Größe und Örtlichkeit der Bedeutung der Sache noch nicht angemessen, meint er. Jetzt soll eine Kommission Vorschläge machen.

Gibt es Gründe für das lange Zögern, in Österreich ein Haus der Geschichte zu schaffen?

Wolfgang Sobotka: Wir sind mit dem Haus der Geschichte ein wenig spät dran. Die Diskussion dauert nun 70 Jahre an, aber man hat sich nie dazu durchringen können. Es gibt das heeresgeschichtliche Museum und eine Reihe von Landesmuseen, die auch Bundesgeschichte darstellen. Aus politischen Gründen hat man sich jedoch immer wieder gescheut, die Sache in die Hand zu nehmen.

Warum tut Österreich sich schwer mit dem Thema?

Sobotka: Im Kern ging es meist um die Frage, wie viel Geld man bereitstellen will. Mit Blick auf den 100. Jahrestag der Ausrufung der Republik ist es jedoch nötiger denn je, hier in die Umsetzung zu kommen. Die Häuser hier in Bonn und auch die Leipziger Ausstellung geben zweifellos gute Beispiele ab. Mich überzeugt, dass diese Museen nicht für die Wissenschaft und Wissenschaftler konzipiert sind, sondern dass sie Begegnungsorte für Geschichte mit allen interessierten Besuchern sein sollen.

In Österreich hat das Parlament die Sache an sich gezogen?

Sobotka: Parlamente sind gut beraten, in Sachen, die einen nationalen Grundkonsens erfordern, die Initiative zu ergreifen.

Erwarten Sie eine kontroverse Debatte über die Geschichte Österreichs?

Sobotka: Die Debatte wird sicherlich sehr intensiv, denn wir sind in Österreich mit Blick auf die erste Republik von einem Konsens ein Stück weit entfernt. Ein gemeinsames Geschichtsbild ist aber auch gar nicht immer möglich oder notwendig. Wir müssen nur die Fairness haben, die unterschiedlichen Sichtweisen zuzulassen. Wir wollen kein vorgefertigtes Bild liefern, sondern der Betrachter soll angeregt werden, sich seine eigene Meinung zu bilden. Die Ausstellung soll zu einer Diskussion ermuntern. Wir wollen auch einen bildungspolitischen Auftrag erfüllen. Ein Haus der Geschichte sollte auch ein Ort der demokratischen Bildung sein. Die Zeit des Nationalsozialismus mit allen ihren Folgen ist ganz bestimmt ein Teil unseres nationalen Vermächtnisses. Wir führen heute Schulklassen in die Gedenkstätte Mauthausen, aber das ist zu wenig. Es bedarf der Auseinandersetzung mit der Republik, ihren demokratischen Werthaltungen. Die werden von allen im Parlament vertretenen Parteien geteilt. Das muss ein Museum transparent darstellen und emotional begreifbar machen.

Ein eigenes Haus mit einer eigenen Sammlung: Ist das Ihr Ziel in dieser Debatte?

Sobotka: Wenn es nach meinen Vorstellungen geht, dann muss dieses Haus auch sammeln. Das hat in Österreich bisher niemand getan, weder in der ersten noch in der zweiten Republik. Wie so ein Haus aussieht mit fester und variabler Ausstellung, mit mehr oder weniger Forschungsanteil, das wird alles noch Gegenstand von Diskussionen sein. Dazu wird eine Kommission beraten. Da bin ich auf die Einschätzung der Experten angewiesen. Die Einrichtung muss in jedem Fall inhaltlich unabhängig sein.

Über Geschichte lässt sich gut streiten. Ist der Moment günstig, jetzt über so ein Museum zu sprechen?

Sobotka: Wir brauchen eine gute Konfliktkultur mit unterschiedlichen Standpunkten. Die zeitgeschichtliche Forschung weiß, dass es ein rohes Datengerüst nicht gibt. Sie bleibt immer mit der Politik verbunden. Wir betreiben keine zweckfreie Geschichte, sondern sie soll zur Demokratie hinführen, zur Toleranz und zu Respekt.

Was sind die nächsten Schritte?

Sobotka: Die jetzt laufende Ausstellung endet 2020/21. Derzeit lauft die Evaluierung durch eine internationale Expertenkommission. Diese wird in etwa Mitte des Jahres abgeschlossen sein. Dann werden die weiteren Schritte gesetzt.

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