Ball-Kultur Wie eine blonde Katze

Bonn · Die Korrelation zwischen Literatur und Fußball auf ästhetischer Ebene sei noch zu wenig erforscht – trotz all der „feuilletonistischen Bananenflanken“ der letzten Jahre. Das meinte jedenfalls der Schriftsteller und Musiker Jan Böttcher am Rande eines Schicksalsspiels der deutschen Autorennationalmannschaft (Autonama) gegen den Angstgegner Schweden 2010 in Unna.

 Da fliegt er: Parade von Oliver Kahn im Mai 2008 im Spiel des FC Bayern München gegen Hertha BSC. FOTO: DPA

Da fliegt er: Parade von Oliver Kahn im Mai 2008 im Spiel des FC Bayern München gegen Hertha BSC. FOTO: DPA

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Böttcher, Ex-Kapitän der Autonama, führte seine Jungs zusammen mit Jörg Berger, der schon den FC und Schalke trainiert hat, als Coach nicht nur zum Sieg über die Schweden, sondern auch zum EM-Titel.

Der Dramatiker und Autor Moritz Rinke („Das Stockholm-Syndrom“, in Bonn uraufgeführt, und „Also sprach Metzelder zu Mertesacker“) und der Kolumnist Jürgen Schmieder hatten entscheidenden Anteil am Erfolg der Kicker. „Das Fußballspiel erweitert den Blick“, sinniert Böttcher, „aber ob es und Schriftstellern auch hilft, das Spielfeld des Romans, des Dramas, des Gedichtes ins 21. Jahrhundert zu öffnen?“

Der spanische Autor und große Real-Fan Javier Marías hat wiederholt nachgewiesen, wie inspirierend Fußball für das Schreiben sein und wie wunderbar Literatur das Phänomen Fußball analysieren kann. Auch etliche deutsche Kollegen haben sich des Ballsports angenommen: Ror Wolf ist mit seinen Fußballbüchern wohl der bekannteste Autor, Eckhard Henscheid mit „Da lacht das runde Leder“ und „Standardsituationen“ der vielleicht humorvollste.

„Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“

Im Vorfeld der WM 1994 in den USA schwappte die Kulturwelle besonders hoch, debattierten etwa in der ARD in „Jenseits vom Abseits“ kulturelle Alphatiere wie Bernhard Minetti, Jürgen Flimm und Ludwig Harig über den Ballsport. Friedrich Christian Delius ließ „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ folgen, der Dramatiker Klaus Pohl dichtete für das Schauspiel in Essen zur WM das Fußballmelodram „Manni Ramm I“. Thomas Brusig, Mitinitiator der Autonama brachte „Leben bis Männer“ heraus, Peter Handke „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Robert Gernhardt setzte mit seinem „Monolog des Torwarts, der einen Elfmeter passieren ließ“ einen drauf.

Diese Grenzsituation scheint Literaten zu fesseln. So dichtete die Bonner Orientalistin Annemarie Schimmel nach dem verschossenen Elfmeter von Uli Hoeneß im Europameisterschafts-Endspiel 1976 folgenden Limerick:

„Inmitten gewaltigen Gestöhnes/ verschoss den Elfmeter der Hoeneß./ Das Spiel ist verloren …/ Mit hängenden Ohren/ betrachtet der Trainer, Herr Schön, es!“ Der Totwart ist der andere Protagonist dieses Fußball-Dramas. Der Münchner Schriftsteller Albert Ostermeier, glühender FC-Bayern-Fan und langjähriger Torwart der Autonama etwa widmete seinem Idol die wunderbare „Ode an Kahn“:

„wenn er beim eckball wie/ eine blonde katze aus dem/ tor stürmt auf einer welle/ der begeisterung durch die/ blauen lüfte fliegt – jetzt/ müsste man eigentlich die/ beach boys einspielen – &/ im sprung er hört gar nicht/ mehr auf zu fliegen seinen/ teleskoparm über den/ rotierenden rasurköpfen &/ dauerwellen ausfährt dann/ ist es für einen moment ach/ könnte er doch verweilen als/ wollte er die sonne aus ihrer/ laufbahn fausten & die flügel/ stürmer in einem schwarzen/ loch zurücklassen als wäre die/ welt nur zwischen seinen zwei/ handschuhen zu fassen (...)“

„Die Wahrheit ist auf dem Platz“

„O abgetropfter Ball! O eingeschlenztes Leder!“, heißt eines der 60 Fußballsonette, die der Schriftsteller Ludwig Harig im Jahr des Sommermärchens 2006 unter dem Titel „Die Wahrheit ist auf dem Platz“ herausbrachte. Das Gedicht beginnt übrigens so:

„Es krönt das Länderspiel den Bundesligaknüller./ Nicht Niedersachsenroß, nicht Kölner Ziegenbock,/ der Adler zeigt sein Haupt. Im schwarzen Nylonrock/ das Linienrichterpaar erzürnt den Chor der Brüller./ Ein Flankenball von Kaltz, ein Paß von Hansi Müller/ schlägt wie ein Schnabelhieb dem spröden Abwehrblock/ die Spalte tief bis hin zur Fahne auf den Pflock (...)“

Für Literaturwissenschaftler sei gesagt, dass es sich hier um das erste Fußballgedicht im Alexandriner-Versmaß handelt.

Das sich die Literatenwelt mit dem Fußball befasst ist noch gar nicht so lang her. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts hieß es: „Ich warne euch, ihr Brüder Jahns, Vor dem Gebrauch des Fußballwahns!“ Der Dichter war Joachim Ringelnatz. Auch nach dem „Wunder von Bern“ hielt sich die Geisteswelt bedeckt: Arno Schmidt misstraute dem „Fritz-Walter-Wahn“, Heinrich Böll fremdelte. Erst mit Handke kam Ende der 1960er Bewegung aufs Feld: 1969 erschien dessen Gedicht „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968“. „Netzer kam aus der Tiefe des Raumes“ war eine Anthologie von 1974 überschrieben, die Texte Fußballaffiner Autoren und Wissenschaftler vereinigte.

Einer davon war der 2013 nach einer schweren Demenzerkrankung gestorbene Literaturhistoriker und Schriftsteller Walter Jens. Von 1974 stammt seine Liebeserklärung an die legendäre Hamburger Fußballmannschaft des TV Eimsbüttel aus den 1930er Jahren, als Jens jung war: „Wenn ich den letzten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler Sturm noch aufzählen können.“ Ein Satz mit prophetischer Tragik.

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