Von der Lovestory zur Abrechnung Wie ein Priester die katholische Kirche angreift

Vatikan · Krzysztof Charamsa, Priester und homosexuell, war Mitglied der Glaubenskongregation im Vatikan. Jetzt schockt er mit einem Bestseller „gegen die Heuchelei der katholischen Kirche“.

 Die überwältigende Erkenntnis, das bisherige Leben auf eine Lüge gebaut zu haben: Nach der ersten Liebesnacht mit seinem heutigen Freund empfand Krzysztof Charamsa, er habe „Gott erblickt, der mich liebte, mich umarmte, mich akzeptierte, weil er mich verstand“ . Die Folge: „Gottes mediokre Kirche [begann] vor meinem inneren Auge zu verblassen“.

Die überwältigende Erkenntnis, das bisherige Leben auf eine Lüge gebaut zu haben: Nach der ersten Liebesnacht mit seinem heutigen Freund empfand Krzysztof Charamsa, er habe „Gott erblickt, der mich liebte, mich umarmte, mich akzeptierte, weil er mich verstand“ . Die Folge: „Gottes mediokre Kirche [begann] vor meinem inneren Auge zu verblassen“.

Foto: picture alliance / dpa

Da stockte am 2. Oktober 2015, buchstäblich am Vorabend der Familiensynode im Vatikan, selbst Kennern der katholischen Kirche der Atem, als in einer Pressekonferenz ein jugendlich wirkender polnischer Priester plötzlich mit seinem Lebensgefährten um die Wette strahlte. Denn dieser Pater Krzysztof Charamsa, der hier im Blitzlichtgewitter der Weltpresse sein Coming out zelebrierte, war als zweiter Sekretär der Glaubenskongregation ein hochrangiger Würdenträger.

Er war einer, der unter Papst Benedikt XVI. selbst noch an Papieren mitgearbeitet hatte, die schwulen Priestern keine Weihe zugestehen. Jetzt bekannte sich genau dieser Dozent an den päpstlichen Universitäten zur Liebe zu einem Mann – und wurde alsbald sämtlicher Ämter enthoben. Das Erdbeben verpuffte. Zum Fall Charamsa schweigt sich der Vatikan bis heute aus.

Nicht so der Geschasste selbst, der nun mit seinem Lebensgefährten in Barcelona wohnt. Als Autor über Frauenrechte und sexuelle Minderheiten in der Kirche verdient er seither seinen Lebensunterhalt. Und besonders mit seinem jetzt ins Deutsche übersetzten Bestseller „Der erste Stein“ ist Charamsa gern gesehener Talkshowgast: Bei „Markus Lanz“ etwa behauptete er, dass 50 Prozent des katholischen Klerus ebenfalls schwul seien.

Die katholische Presse schäumte, wenn sie denn ihren ehemaligen Vorzeigepriester nicht ebenso ignorierte wie es die Leitungsebene tut. Ein bemitleidenswerter „Möchtegern-Großinquisitor“ sei der heute 44-Jährige eben, ein Ketzer, ein Agitator, der von der Medienbühne aus Steine auf die Kirche werfe, schrieben manche katholischen Kommentatoren.

Zunächst eine zart getupfte Liebesgeschichte

Was steht also drin im Buch mit dem so reißerischen Untertitel „Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche“? Erst einmal eine zart getupfte Liebesgeschichte. Ein eigentlich gehemmt-ängstlicher Priester trifft seinen zukünftigen Lebenspartner. Deshalb habe er gerade im Klerus seiner Heimat Polen unter der neuen autokratischen Regierung einen Spießrutenlauf fürchten müssen, bekennt Charamsa.

In der ersten Nacht mit dem Partner habe er, „Experte für Gott und alles, was göttlich war, und gleichzeitig ... homophob“, jedoch „Gott erblickt, der mich liebte, mich umarmte, mich akzeptierte, weil er mich verstand.“ Und hier schlägt die Lovestory in eine bittere Abrechnung mit seinem bisherigen geistlichen Zuhause um. „Zum Glück begann Gottes mediokre Kirche vor meinem inneren Auge zu verblassen“, zieht Charamsa Bilanz.

Die Prägung durch die Institution habe ihn zu einem perfekten Theoretiker gemacht, der alles habe erklären können – „aber das wahre Leben musste ich leugnen.“ Das berühmte Jesus-Wort „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ klingt nicht nur im Buchtitel an. Doch Charamsa sieht seine sexuelle Neigung und die Entscheidung, sie auch auszuleben, keineswegs als Sünde an, sondern als Geschenk Gottes, der Natur, des Lebens – eine im Vatikan unerhörte Einstellung.

„Das schwulste Pontifikat der Neuzeit“

Charamsa beschreibt die Ära Benedikts XVI. als aggressiv homophob und frauenfeindlich. Dabei sei gerade sie „das schwulste Pontifikat der Neuzeit“ gewesen, „mit roten Schühchen, sorgfältig choreografierten Prozessionen, Spitzen und Quasten und Fransen, die überall herauslugten“. Womit das Buch dann wirklich zur provokativ bösen Abrechnung wird.

Charamsa holt, elegant im Ton, aber hart in der Sache, zum Generalangriff aus: Auch Kindesmissbrauch und Pädophilie seien letztlich Phänomene, die von der Mentalität der Kirche gewissermaßen systematisch hervorgebracht würden; einer Kirche, die jede Transparenz zunichte mache und zur Omertà, also zum Schweigegebot wie bei der Mafia, zwinge, behauptet der 44-Jährige. Harter Tobak aus der Feder eines Mannes, der sich auch heute noch aus vollem Herzen als gläubiger Katholik bezeichnet.

Und welche Rolle spielt Franziskus im Bestseller, der Papst, der mit Aussagen wie „Wenn eine homosexuelle Person guten Willen hat und Gott sucht, dann bin ich keiner, der ihn verurteilt“ die Verkrustungen seiner Kirche sprengt?

Franziskus' Möglichkeiten sind beschränkt

Franziskus habe zwar echten Reformwillen, meint Charamsa. Doch seine Möglichkeiten seien eingeschränkt, in der Glaubenskongregation herrsche Hass auf ihn. Der Papst habe sich offen zu einer Religion der Brüderlichkeit, der Empathie, des Mitleids bekannt; doch er habe schließlich lernen müssen, in der realen Kirche den Mund zu halten.

Seinem Buch hat er seinen Brief an Franziskus vom Oktober 2015 angehängt, genau aus den Tagen also, als er mit seinem Lebenspartner an die Öffentlichkeit trat. Das Schreiben endet: „Ich würde alles tun, um der katholischen Kirche dabei zu helfen, aus ihrem unmenschlichen Schlaf zu erwachen, der mittlerweile unerträgliche Zustände hat einziehen lassen.“

Krzysztof Charamsa: Der erste Stein. Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche. C. Bertelsmann, 320 S., 19,99 Euro.

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