Theaterpremiere in Bonn Werkstatt zeigt "Wer ist Walter"

Uraufführung in der Werkstatt: Ariane Kochs Stück „Wer ist Walter“ lässt viele Fragen offen. Nach 75 pausenlosen Minuten lässt sich kein Erkenntnisgewinn messen.

Aufgabe der Theaterkritik ist es, drei Fragen zu beantworten. Sie stammen von Goethe: „Was hat sich der Autor vorgesetzt? Ist dieser Vorsatz vernünftig und verständig? Und inwiefern ist es gelungen, ihn auszuführen?“ Es kommt nicht oft vor, aber nach Ariane Kochs Stück „Wer ist Walter“, dessen Uraufführung Simone Blattner in der Werkstatt verantwortet hat, muss ich zugeben: Ich kapituliere.

Nach 75 pausenlosen Minuten ließ sich kein Erkenntnisgewinn messen und kein Sinn entschlüsseln, blieb das bunte Geschehen auf der Bühne abstrakt, hermetisch, unzugänglich. Paradoxerweise war die theatrale Erfahrung in Gesellschaft von Lena Geyer, Ursula Grossenbacher, Lydia Stäubli, Gustav Schmidt und Klaus Zmorek ein großes Vergnügen.

Reißender Assoziationssprachfluss

Die junge Autorin Ariane Koch will in ihrem Stück, dessen Titel auf das naheliegende Fragezeichen verzichtet, Menschen im Krisenmodus zeigen. Ein Mensch namens Walter, angeblich ein Uhrenvertreter, ist verschwunden, und fünf Personen drehen durch. Sie sprechen über Walter, der offenbar wichtig für sie gewesen ist, und über sich selbst. Dabei variieren sie das berühmte „Ich bin Spartakus!“ auf ihre Weise: Ich bin Walter!

„Die Grundsituation des Stücks lässt es zu, auf viele gesellschaftliche Phänomene hinzuweisen und verschiedene Stimmen zu Wort kommen zu lassen“, bemerkte Koch in der „Theaterzeitung“. Und: „Mich interessiert, wie durch Narration Identität entsteht.“ Guter Ansatz, den die Autorin in einen reißenden Assoziationssprachfluss verwandelt – mit Zitaten (laut Textbuch) von Michail Bulgakow, Bright Eyes, Joseph Stalin, Ernst Hallier, Herman Melville, Julien Offray de la Mettrie, Rainer Maria Rilke, Jean-Jacques Rousseau, Sartre und Tic Tac Toe. Mag sein, dass es Zuschauer gibt, die da mitkommen und den aufgerufenen Themen Zeit und Zivilisation, Identität und Natur, Tod, Flucht und Religion folgen können. Sicher bin ich nicht.

Kommen wir zum Vergnügen des Abends: den Schauspielern, die Regisseurin Simone Blattner auf Martin Miotks das Fantastische betonender Bühne an der ganz langen Leine laufen lässt. Andy Besuch (Kostüme) liefert das stoffliche Material für die atemlos absolvierten Kleidungswechsel: vom Expeditions-Outfit ins historische Gewand, zuletzt in den hautengen Ganzkörperanzug. Für diese Inszenierung haben sie den Fundus geplündert.

Pelzige Tiermasken und ein tolles Solo

Fünf geborene Komödianten verwandeln Kochs theaterphilosophische Prosa in ein bewegtes audiovisuelles Spektakel. Am Anfang spielen sie mit Rucksack und allem, was dazugehört, „Fünf Personen suchen einen Walter“. Und sie singen ein Lied, die Moritat von der „Operation Panda“. Danach hat Lydia Stäubli ein tolles Solo, in dem ihre Figur sich fragt, ob sie eigentlich noch da sei oder schon verschwunden: das Thema Identität. Geyer, Grossenbacher, Stäubli, Schmidt und Zmorek setzen auch pelzige Tiermasken auf, um vielleicht die Sache mit der Zivilisation und den Wölfen zu illustrieren: Thomas Hobbes' „Homo homini lupus“ – der Mensch ist dem Menschen Wolf.

Lena Geyer arbeitet sich an der Zeit ab. Ursula Grossenbacher wendet die letzten Dinge, Klaus Zmorek kündet brillant von Walters Ende. Gustav Schmidt zieht mit seiner quecksilbrigen Energie die größte Aufmerksamkeit auf sich; er empfiehlt sich für höhere Aufgaben. Was bleibt? Die Hoffnung, die fünf Schauspieler bald wiederzusehen. Und die Erinnerung an einen Song, den Ariane Koch geschrieben hat: „No One Is Ever Going To Find You“. Es ist ein Lied für einen Helden mit Namen Walter.

Die nächsten Aufführungen: 10., 16., 18. und 25. Oktober. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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