Dada-Jubiläum Wenn Kühe Schach spielen

Bonn · Der WDR feiert mit dem Komponisten und Pianisten Steffen Schleiermacher und dem Sänger und Rezitator Holger Falk im Bonner Arithmeum hundert Jahre Dada: Ein witziger, nachdenklicher, unterhaltsamer Abend.

 Komponist, Pianist und Dada-Liebhaber Steffen Schleiermacher.

Komponist, Pianist und Dada-Liebhaber Steffen Schleiermacher.

Foto: Homepage Schleiermacher

Eine Geburtstagsfeier, die mit einem Totentanz anfängt? Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher und der Bariton und Rezitator Holger Falk wählten einen unorthodoxen Weg, um am vergangenen Freitag im Arithmeum an den Startschuss zu Dada vor 100 Jahren zu erinnern.

Es war der richtige Weg, denn 1916 waren es bittere Gedichte gegen diesen schrecklichen Weltkrieg, die man auf der Bühne des „Cabaret Voltaire“ hörte. Zum Beispiel Hugo Balls sarkastischen „Totentanz 1916“ auf die Melodie des heroischen „Dessauer Marsches“. Ball beginnt mit: „So sterben wir, so sterben wir und sterben alle Tage, weil es so gemütlich sich sterben lässt. Morgens noch in Schlaf und Traum, mittags schon dahin...“ Hans Arps „Weh unser Kaspar ist tot“ brachte das bissig und hintergründig von Schleiermacher moderierte und von WDR3 live übertragene Dada-Programm in Fahrt.

Mit Hans Heusser, dem Hofkomponisten der Dada-Bewegung, und seinem Stück „Novelette“, dem schrägen „Marsch Alexander des Großen über die Brücken von Hamburg“ des Berliners Hans Heinz Stuckenschmidt und Stefan Wolpes wild-rhythmischer „Stehender Musik“ hörte man echte Raritäten einer Kunstbewegung, die eher im Literarischen beheimatet war. Richard Huelsenbecks melancholisches „Ende der Welt“ mit der herrlichen Anfangspassage „Soweit ist es nun tatsächlich mit dieser Welt gekommen. Auf den Telegraphenstangen sitzen die Kühe und spielen Schach. So melancholisch singt der Kakadu unter den Röcken der spanischen Tänzerin wie ein Stabstrompeter, und die Kanonen jammern den ganzen Tag...“ war ebenso zu hören wie Kurt Schwitters' Zahlenwerk „Gedicht 25 elementar“.

Schleiermacher und Falk zogen von den Anfängen in Zürich zum späteren, weit aggressiveren Dada Berlin. Auch hier wieder Raritäten: Walter Mehrings Gedicht „Ihr seid entlassen“ gab es einmal in der Vertonung des Busoni-Schülers Stefan Wolpe, dessen Affinität zur Zweiten Wiener Schule nicht zu überhören war, und ein weiteres Mal mit revolutionärem Pathos und der Musik Hanns Eislers. Mit Mehrings witzigem „Ihr Bananenrohköstler“ und Hans Jürgen von der Wenses bitterböser Persiflage auf die Gefallenenhymne „Ich hat' einen Kameraden“, schwenkte das Duo auf den künstlerischen Höhepunkt des Abends ein: Eine für alle Anwesenden anstrengende, bizarre Simultanaufführung zentraler Werke von Arp und Satie, Huelsenbeck (Dadaistisches Manifest) und Schwitters (Scherzo der „Ursonate“), Ball und Tzara. Eine irre Kakophonie. Sogar ein nach Tzaras Rezept aus ausgeschnittenen Wörtern eines General-Anzeiger-Artikels kompilierter Text war zu hören.

Die Ohren entspannten sich mit feinen, angejazzten Stücken von Erwin Schulhoff, der über George Grosz zu den Berliner Dadaisten gekommen war. Das Ende war ein Ausblick und musikalischer Leckerbissen zugleich. Guillaume Apollinaire, der 1918 gerade einmal 38-jährig von der Spanischen Grippe hingerafft wurde und der kein Dadaist war, vielmehr einer der Säulenheiligen der Surrealisten, hatte zarte „Calligramme“ (Figurengedichte) geschrieben. Francis Poulenc vertonte diese Miniaturen wunderbar im Jahr 1948. Und Schleiermacher und Falk interpretierten sie mit Hingabe, krönten damit diesen würdigen Dada-Geburtstagsabend, der so aggressiv begonnen hatte.

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