Bonner Republik Weinqualität und Staatsprotokoll

Bei Heuss galt das „Pathos der Nüchternheit“, Adenauer wollte repräsentieren wie eine Großmacht und ließ auch so ausschenken, und heute kostet die Flasche Wein beim Staatsbankett um die 20 Euro. Eine kleine Geschichte des Weins im protokollarischen Einsatz.

Eine Republik rollt den Teppich aus: Bundespräsident Roman Herzog (rechts) mit dem belgischen König Albert II. beim Staatsempfang auf Schloss Augustusburg am 10. Juli 1995.

Eine Republik rollt den Teppich aus: Bundespräsident Roman Herzog (rechts) mit dem belgischen König Albert II. beim Staatsempfang auf Schloss Augustusburg am 10. Juli 1995.

Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Bei Staatsbesuchen schenken die Verantwortlichen selbst kleinen Details große Beachtung – eines davon ist der Wein, der beim Bankett gereicht wird. Was dort serviert wird, lässt sich mittels der Menükarten erschließen, wie sie seit Ende Juli in der Ausstellung „Schlösser für den Staatsgast – Schönhausen und Augustusburg. Staatsbesuche im geteilten Deutschland“ in Schloss Augustusburg zu sehen sind.

Am Ort der Staatsbankette der Bonner Republik – das letzte fand dort im Juni 1996 während der Amtszeit von Bundespräsident Roman Herzog statt, der rumänische Präsident war zu Gast – wird ein Teil der Repräsentationsgeschichte insbesondere der alten Bundesrepublik lebendig.

Viele Feinheiten, die es beim offiziellen Zeremoniell zu berücksichtigen gilt, entziehen sich den meisten Bürgern genauso wie vielen staatlichen Repräsentanten – gerade hierzulande. Protokollarisch sind die meisten Länder der Bundesrepublik voraus, deren „Pathos der Nüchternheit“ (Theodor Heuss) historisch begründet ist.

Dennoch wirkt aus heutiger Sicht der Prunk befremdlich, den insbesondere die Bilder im barocken Treppenhaus von Schloss Brühl vermitteln, wo das Defilee vor Staatsbanketten stattfand: die Herren im Frack, meist mit Orden behängt, die Damen im langen Abendkleid.

Bei aller den Staatsbesuchen eigenen protokollarischen Fertigungstiefe fiel es früher schwer, mit dem Wein zu renommieren. Mangels guter Jahrgänge hatte man lange mit der Qualität des Rotweins und vor allem der des früher aus Massenfertigung stammenden Sektes zu kämpfen.

In der Breite dominierten damals süßliche Erzeugnisse, die heute eher als billiger Fusel durchgingen: „Der Wein war dünn und gezuckert“, heißt es im „Treibhaus“ von Wolfgang Koeppen, dem Schlüsselroman der frühen Bonner Republik. Östlich der innerdeutschen Grenze war es noch schlimmer; Weine aus der DDR waren bis zuletzt von solch minderer Güte, dass sie kaum zur staatlichen Repräsentation taugten.

Theodor Heuss war, zumindest was die Qualität anging, beim Wein zurückhaltend: Der erste Bundespräsident (trotz seiner Dissertation über den Weinbau in seiner Heimatregion mehr Weintrinker als Weinkenner) ließ seinen eher mittelmäßigen Lieblingswein – Lemberger vom heimatlichen Brackenheimer Zweifelsberg – sogar bei offiziellen Anlässen servieren.

Konrad Adenauer hingegen reklamierte schon früh für die Bundesrepublik, wie eine Großmacht auftreten zu müssen. Das reichte hin bis zu den Getränken: Der Bundeskanzler ließ auf höchstem Niveau ausschenken, häufiger Grand Crus aus Bordeaux.

In der traditionell auf weiße Rebsorten, insbesondere Riesling, ausgerichteten Weinbaunation Deutschland widmeten sich zu dieser Zeit lediglich wenige Spitzenwinzer den roten Sorten, obgleich einige hervorragende Spätburgunderlagen existierten. Da schien es naheliegend, Wein aus Frankreich einzusetzen – und das nicht nur aus Gründen diplomatischer Höflichkeit, wenn etwa der französische Präsident anreiste.

So wurde für Königin Elisabeth II. bei ihrem ersten Staatsbesuch 1965 ein herausragender Burgunder aufgetragen, den Bundespräsident Heinrich Lübke persönlich ausgewählt hatte. Bis es ausschließlich deutsche Gewächse gab, was in repräsentativer Hinsicht eigentlich geboten war, sollte es noch dauern.

Der bundespräsidiale Ausschank ausländischer Weine war gelegentlich Gegenstand von Kommentaren – auch im Bonner General-Anzeiger, der Zeitung, die für sich in Anspruch nehmen konnte, im Lokalteil über Staatsbesuche zu berichten.

Zielscheibe von Kritik war in besonderem Maße der im Ruf des Lebemanns stehende, dieser Tage verstorbene Walter Scheel. Allerdings tat man dem vierten Bundespräsidenten damit Unrecht, denn erstens ließ er zumindest bei Staatsbanketten häufig – weiß wie rot – deutsche Gewächse auftragen, und zweitens erhöhte er den protokollarischen Standard insgesamt.

Im Gegensatz dazu war Scheels Nachfolger Karl Carstens in vinophiler Hinsicht ein Ausfall: Meistens ließ er ausländische Rotweine einschenken – dabei kaum jemals Erstklassiges. Ähnlich unterentwickelt war die Tischkultur damals im benachbarten Kanzleramt, wo Helmut Schmidt mit gehobener Kulinarik nichts anfangen konnte. Ein Journalist vermerkte später über ihn, dass Schmidt sich zu seiner Kanzlerzeit von „Coca-Cola, Eiscreme und achtzig Menthol-Zigaretten pro Tag ernährte“.

Dessen Vorliebe für Limonade findet sich auch in der Karikatur (siehe oben), einst eine Werbung für das lange eingestellte Gesellschaftsmagazin „Esprit“. Das Motiv spiegelt damit den schon Heuss und Adenauer attestierten protokollarischen Antagonismus zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler wider, bei Scheel und Schmidt allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Jetzt vergab sich der Bundeskanzler manch protokollarische Feinheit.

Bei Schmidts DDR-Besuch im Dezember 1981 wurde beim Abendessen, das der Bundeskanzler für Erich Honecker ausrichten ließ, zwar guter westdeutscher Riesling gereicht – allerdings nicht von der Saar, was ob der Herkunft des DDR-Staatsratsvorsitzenden nahegelegen hätte. Als Rotwein gab es unverständlicherweise einen mittelprächtigen Bordeaux.

Vielleicht lautet die schlichte Erklärung, dass von dem ebenfalls zu anderen Anlässen ausgeschenkten Château Bergat 1975 größere bundeseigene Bestände existierten. Dagegen wäre der kanzleramtsseitig 1980 dem König von Saudi-Arabien angebotene mindere Bordeaux aus dem wirklich miesen Jahrgang 1977 bestenfalls ironisch damit zu rechtfertigen, dass Muslime sowieso keinen Alkohol trinken dürfen – schlechten Rotwein hätte es jedoch auch aus deutschen Landen zur Genüge gegeben.

Ein höheres vinophiles Bewusstsein wäre aber sogar unter dem sonst so stilsicheren Richard von Weizsäcker möglich gewesen: Als die niederländische Königin Beatrix im April 1991 als erstes ausländisches Staatsoberhaupt dem wiedervereinten Deutschland einen offiziellen Besuch abstattete, wäre bei allen Qualitätsproblemen eine West-Ost-Weinkombination angemessen gewesen. Ausgeschenkt wurden jedoch lediglich Gewächse aus den alten Bundesländern, obwohl das Auswärtige Amt bei Veranstaltungen schon Weine aus Meißen und Radebeul anbot.

Das alles ist heute Geschichte – mittlerweile gibt es selbst in der Breite hervorragende deutsche Weine in allen Varianten. Dazu trägt der Klimawandel bei, der dafür sorgt, dass es hierzulande kaum mehr schlechte Jahrgänge gibt und insbesondere Trauben für Rotwein nicht nur in Ausnahmejahren reifen.

Auch hielt seit den 80er Jahren eine neue Generation von Winzern Einzug in die deutsche Weinszene, die konsequent auf Qualität setzte und Experimente wagte. Der reformskeptischen Bevölkerung zum Trotz waren in der Amtszeit von Roman Herzog – einer entgegen seiner „Ruck-Rede“ eher gemütlichen Natur – die belebenden Impulse der neuen Winzergeneration deutlich spürbar. Nicht zuletzt beförderte die nach dem Regierungswechsel 1998 ins Amt gekommene rot-grüne „Toskana-Fraktion“ das gehobene gustatorische Empfinden.

Seit dem Regierungsumzug nach Berlin wird zumindest beim Bundespräsidenten konsequent ausschließlich deutscher Wein aus allen Regionen ausgeschenkt. Die bei Staatsbanketten pro Flasche aufgewendeten etwa 20 Euro liegen zwar deutlich über den nicht einmal drei Euro, die deutsche Konsumenten durchschnittlich entrichten, sind aber im Vergleich zu anderen Ländern als sehr moderat anzusehen.

Außerdem wird nicht viel davon verbraucht: Ein Chef des Bundespräsidialamtes ließ sich einmal mit der Aussage zitieren, dass bei Veranstaltungen des Bundespräsidenten „sehr kontrolliert getrunken“ werde: „Die Leute sind einfach zu seriös für irgendwelche Ausschweifungen“.

Der Autor Dr. Knut Bergmann studierte in Bonn Politische Wissenschaften und war in der Amtszeit von Horst Köhler fünf Jahre Grundsatzreferent im Bundespräsidialamt. Er arbeitet heute für das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. – Veranstaltungstipp Am Freitag, 2. September, hält Bergmann um 18 Uhr als Teil der Staatsempfänge-Ausstellung auf Schloss Augustusburg in Brühl einen Vortrag zum Thema „Auf ein Glas beim Bundespräsidenten“ – Weinverkostung inbegriffen

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