Stadtgartenkonzerte am Alten Zoll Von Amts wegen

BONN · Am 5. August starten die Stadtgartenkonzerte am Alten Zoll. Bei dem städtischen Festival mischen auch viele Bonner Künstlernetzwerke mit. Der Konzertreigen geht bis zum 3. September. Auch ein Tag der Stadtmusik mit vier weiteren Spielstätten ist im Programm.

 Festival mit Rheinblick: Konzerte im Stadtgarten am Alten Zoll.

Festival mit Rheinblick: Konzerte im Stadtgarten am Alten Zoll.

Foto: Veranstalter

Treffen sich zwei Beamte auf dem Flur. Fragt der eine: „Kannst du auch nicht schlafen?“ Der Witz ist nur ein Test. Wie würde wohl ein Vertreter dieser Berufsgruppe darauf reagieren, zumal seine Visitenkarte eine recht ungewöhnliche Funktion ausweist: „Beauftragter für Rock- und Popmusik/Kulturamt der Stadt Bonn“. An Hans-Joachim Over (53) perlt die Pointe ab, aus reiner Contenance schenkt er dem Kalauer ein müdes Lächeln. Ein Punkt für den Pop-Beamten.

Over steht am Alten Zoll und lässt den Blick schweifen. Keine einfache Sache. Den Stadtgarten, so heißt der Platz, macht vor allem sein 360-Grad-Panorama interessant. An der Ostflanke der Biergarten mit Brüstung zum Rhein und Sicht auf Bonns Sonnenseite Beuel plus Siebengebirge in der Ferne. Im Rechtsschwenk sieht man die Terrasse des Hotels Königshof, einen Pavillon, die leicht abschüssige Wiese mit dem Beethoven von Lüpertz, die Universität und den Alten Zoll, der momentan noch seine Sanierungsverpackung trägt. Und in der Mitte der große Sandplatz, auf dem Bonns Boulespieler regelmäßig Staub aufwirbeln. „Ein unglaublich schöner Ort“, sagt Over. Und viele dieser Komponenten spielen eine Rolle bei den Stadtgartenkonzerten, die der Bonner Pop-Beauftragte betreut. Im Namen des Kulturamtes.

Over sitzt auf seinem Biergartenstuhl unter der mächtigen Platane und behauptet allen Ernstes: „Eigentlich sitze ich zwischen allen Stühlen“. Er kokettiert. Denn Over hat in den vergangenen zwei, drei Jahren alles daran gesetzt, eben diesen Schwebezustand aufzuheben. Mittlerweile zählt der Amtsträger mit der grau melierten Matte, die er gern zum Pferdeschwanz bindet, zu den effizientesten Netzwerkern in Bonn. Sein Erfolgsrezept: „Ich rede mit allen - egal, wie sie zur Stadt stehen.“

„Alle“, das sind Musiker und andere Künstler, Veranstalter und Projektentwickler – ob etabliert oder Subkultur. Vor zwei Jahren hat Over ein Treffen im Musikclub Harmonie organisiert: „Viele Bonner Künstler und Projektgruppen haben sich damals zum ersten Mal gesehen.“ Over sieht seine Rolle „proaktiv“. Als offizieller Ansprechpartner im Kulturamt kann er Ideen aus der Szene zielorientiert durch den Apparat navigieren. Und wenn etwa das Ordnungsamt eine Auskunft über den Veranstalter XY benötigt, weiß Over oft Rat. Bei speziellen Themen, etwa „Lärmbelästigung“, ist dann der ganze Diplomat gefragt.

Am 5. August startet nun die fünfte Ausgabe der Stadtgartenkonzerte. Bis zum 5. September spielen 24 Ensembles auf einer Bühne, die neben dem Pavillon errichtet wird. Hinzu kommt ein „Tag der Stadtmusik“ am 13. August mit Konzerten auf vier Innenstadtplätzen. Hört sich erst mal unspektakulär an. Doch der Blick auf die Details zeigt, welche Fäden der zuständige Herr Over wie und wo und wann verknüpft hat. Das beginnt bereits bei den ersten beiden Konzerten, die als „Chengdu Special II“ angekündigt werden.

Hintergrund: Die chinesische Metropole Chengdu lädt als Bonner Projektpartnerstadt jedes Jahr hiesige Bands zu ihrem internationalen Festival ein. 2015 hat Over die Band Steal A Taxi vermittelt, deren Sängerin Makeda zurzeit im Kölner Musical „Bodyguard“ in der Hauptrolle auftrumpft. In Chengdu wurde Over auf die Band The Herfsts aus Belgien aufmerksam. Der „starke, schweißtreibende Auftritt“ hat ihn beeindruckt. Beide Bands spielen nun am Alten Zoll.

Einen amüsanten Akzent setzt das Festival zum Thema „Beats“ – im musikhistorischen Sinn: Hinter Sixties United stehen einige in Ehren ergraute Blumenkinder, die Ende der 1960er Jahre zu den Helden der Bonner Hippies zählten. Die Blackberries aus Solingen arbeiten sich beim Doppelkonzert durch die psychedelischen Klangwelten des Folk.

Der Festivalleiter Over agiert keineswegs als Einzelkämpfer, er aktiviert seine Netzwerke, kooperiert beispielsweise mit dem Institut français Bonn, das ein Konzert der Sängerin Laura Cahen aus Nancy protegiert. Das Kultursekretariat NRW präsentiert die mongolische Gruppe Sedaa, das Popcamp und der Deutsche Musikrat betreuen Bands wie Kent Soda und JinJim. Beim „Tag der Stadtmusik“ sind alle vier Bühnen delegiert, auch die Klassiker vom „Netzwerk Ludwig van B.“ machen mit.

Und weil am 20. August in Beuel das Festival Green Juice läuft, geht Over allen Stil-Dubletten aus dem Weg und stellt für diesem Tag ein kleines Bluesfest zusammen.

Das Festival selbst ist ein Relikt der Traditionsreihe „Bonner Sommer“, die vor fünf Jahren weggespart wurde. Doch Teile der Politik forderten Ersatz. Over stemmte 2012 vier Konzerte. „Ich muss betonen: Der Kulturausschuss hat die Mittel für die Stadtgartenkonzerte eingefordert“, sagt Over. Seit 2015 ist die Sache per Ratsbeschluss für fünf Jahre festgeschrieben. Das bedeutet Planungssicherheit – bei überschaubaren Mitteln. 40 000 Euro, das muss reichen.

Over macht aus der Not eine Tugend und generiert auch bei der Infrastruktur intelligente Interessengemeinschaften: Auswärtige Künstler übernachten bei den Sponsoren vom Königshof, der Biergarten kümmert sich um Verpflegung und digitale Werbeoffensiven. „Das Festival hat einen riesigen Stellenwert für uns“, sagt Gastronom Sia Tabatabai vom Biergarten. „ Und die Resonanz beim Publikum ist phänomenal.“ Wenn der Wirt in den sozialen Medien seine 8000 Abonnenten aktiviert, zeigt das Wirkung. Bis zu 1500 Besucher pro Konzert hat Over in der Vergangenheit ausgemacht.

Auf der Wiese sitzen dann junge Musikfans, Familien mit Kindern - und Senioren, die auf alte Hippiemusik stehen, weil es sie an ihre Jugend erinnert. So ist allen gedient.

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