Neu im Kino Verlorene Seelen im Großstadtdschungel

Bonn · Dreizehn mehr oder minder neurotische Figuren führt Lars Montag in seinem Kinodebüt durch das Leben einer namenlosen Großstadt. Doch seine Erkenntnis verkauft der Film zu grell.

 Melancholie an der Fleischtheke: Bernhard Schütz als Lateinlehrer Ecki. FOTO: DPA

Melancholie an der Fleischtheke: Bernhard Schütz als Lateinlehrer Ecki. FOTO: DPA

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Die beste Pointe des Films bietet ausgerechnet Peter Maffay. Sein amouröser Schunkelschlager „Du“ wird kurz vor dem Abspann umgedichtet und das Personalpronomen durch die erste Person Singular ersetzt: „Ich bin alles, was ich habe auf der Welt. Ich bin alles, was ich will. Ich allein kann mich verstehen“, klingt es da mit verteilten Stimmen aus dem Ensemble. Hübscher Einfall, sicherlich, aber auch das wenig subtile Resümee eines Filmes, der sein Publikum über zwei Kinostunden immer wieder direkt mit der Nase auf das eigene Aussageanliegen gestoßen hat.

Dreizehn mehr oder minder neurotische Figuren führt Lars Montag in seinem Kinodebüt „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ durch das Leben einer namenlosen Großstadt. In Helmut Kraussers Romanvorlage aus dem Jahre 2009 waren es noch 36 Charaktere und die Handlung mit dem Kreuzberger Viktoriapark als narrativem Verkehrsknotenpunkt fest im Westberliner Sumpf verankert. Regisseur und Autor haben in ihren gemeinsamen Drehbuchanstrengungen jedoch nicht nur den Personalbestand reduziert und den Handlungsort anonymisiert, sondern dem Stoff auch ein schrilles Update verpasst.

Waren vor acht Jahren Paint-Ball-Schießereien der Inbegriff aggressiver Dekadenz, kann die Trieb- und Einsamkeitskompensationen heute mithilfe von „Anger Rooms“, in denen man gegen Bezahlung Büro- oder Schlafzimmermobiliar zerdeppern kann, „Silent Partys“, auf denen jeder zu seiner eigenen Kopfhörermusik tanzt, oder Familienaufstellungsseminaren plakativ bebildert werden.

Gefangen in der Lebenswahrnehmungsblase

Als Bestandsaufnahme des deutschen Seelenzustands präsentiert sich die Episodenfilmsatire, deren Titel mit dem Versmaß der Nationalhymne spielt. Dabei verfügt das Unternehmen eigentlich über eine durchaus tragfähige Personaldecke: Von dem arbeitslosen Lateinlehrer Ecki (Bernhard Schütz), der fälschlicherweise von einer Schülerin der sexuellen Belästigung bezichtigt wurde, über den offen rassistischen Polizisten Thomas Stern (Jan Henrik Stahlberg), der seine Kollegin Carla (Friederike Kempter) als Anti-Angst-Coach ins Bett zu bekommen versucht, bis hin zu der Ärztin Julia (Eva Löbau), die ihre sonntäglichen Treffen mit wechselnden Sexualdienstleistern genau durchchoreografiert hat, wird ein Reigen der einsamen Existenzen geflochten.

Aber Montag verliert sich schon bald in der eigenen Panoptikumsgestaltung, die die Charaktere ausstellt, ohne sie wirklich erforschen zu wollen. Die Figuren sind nur illustre Repräsentanten, die in ihrer eigenen Lebenswahrnehmungsblase gefangen sind und demonstrativ zur Beziehungsunfähigkeit verdammt werden. Dabei wird das Mittelwort des griffigen Filmtitels zum zentralen Kompensationsinstrument.

Dass hinter der gründlich diversifizierten Notgeilheit im Figurenarsenal ungestillte Liebesbedürfnisse lauern, hat man schnell verstanden. Was den Film nicht daran hindert, seine Erkenntnis mehrfach grell durchzudeklinieren. Trotz eines fachkundigen Schauspielerensembles gelingt es letztlich nur Rainer Bock, seiner Figur des traurig vor sich hin imkernden Familienvaters wirklich Seele einzuhauchen. Aber selbst ihm traut der Film nicht über den Weg und vergleicht die Figur in einem krächzenden Off-Kommentar mit einem Bienendrohnen, der nach seinen Pflichterfüllungen aus dem Stock geworfen wird.

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