Fragen zur documenta Umfrage zur documenta

Bonn · Als „missraten“ und „enttäuschend“ ist die Weltkunstschau documenta in Kassel kritisiert worden. Der Zulauf aber ist ungebremst. Es spricht vieles dafür, dass in fünf Wochen ein neuer Besucherrekord verkündet wird. Wir haben Kunstexperten aus Bonn und der Region befragt

 Oliver Kornhoff, Chef Arp Museum Rolandseck.

Oliver Kornhoff, Chef Arp Museum Rolandseck.

Foto: picture alliance / Thomas Frey/d

Mit vernichtenden Kritiken und einer gleichwohl sehr guten Besucherbilanz ist die documenta 14 in die zweite Halbzeit gegangen. Mittlerweile haben die meisten Chefs der Kunstinstitutionen Bonns und der Region die Weltkunstschau in Kassel besucht. Wir haben Stephan Berg (Kunstmuseum Bonn), Oliver Kornhoff (Arp Museum Rolandseck), Marianne Pitzen (Frauenmuseum Bonn ) und Rein Wolfs (Bundeskunsthalle) um kurze Statements gebeten. Die Fragen stellte

Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseums Bonn

Die Institution documentaist für mich inzwischen dabei, ihren Ruf als international wichtigste Großausstellung zum Stand der aktuellen Kunst zu verspielen.

Was mir an der documenta 14 gefiel: Die Erschließung neuer Orte, wie zum Beispiel der neuen Hauptpost, der Glaspavillons oder des Giesshauses, sowie einige Foto-und Videoarbeiten, zum Beispiel von Theo Eshetu, Prinz Gholam, Roee Rosen, Amar Kanwar, Thomas Dick und Terre Thaemlitz.

Was mir an der documenta 14 nicht gefiel: Leider fast alles. Vor allem die Haltung des Kuratorenteams um Adam Szymczyk, Kunst als rein illustrative Blaupause für eine verbissene, und letztlich etwas anachronistische Politideologie zu missbrauchen. Im Übrigen: Den Neokolonialismus, den Szymczyk der Welt vorwirft, praktiziert diese documenta am Ende selbst, wie das gescheiterte Athener Experiment zeigt.

Meine Lieblingsdocumenta war die documenta 9 (1992) von Jan Hoet, weil sich, trotz einiger Schwächen, in ihr die ästhetische und politische Kraft starker Kunstwerke zeigte.

Oliver Kornhoff, Direktor des Arp Museums Rolandseck

Die Institution documenta ist für mich: Immer noch die wichtigste internationale Standortbestimmung für die Kunst der Gegenwart. Für die Chefkuratorin oder den Chefkurator eine wahrhaft herkulische Aufgabe, bei der der Spagat zwischen dem Rahmen einer institutionalisierten Großausstellung und der notwendigen Beweglichkeit auch für jüngere Positionen gelingen muss.

Was mir an der documenta 14 gefiel: Dass der dezentrale Charakter der Kassler Ausstellung im Vergleich zu den vergangenen Jahren noch intensiviert wurde. Der stillgelegte Tunnel am KulturBahnhof ist dafür bestes Sinnbild und ein mitreißend katalytischer Ausstellungsort, der bedauerlich schwach bespielt wurde. Die Ausstellung im ersten Obergeschoss in der Neuen Galerie ist für mich das Herzstück der documenta Kassel. Einzig dort wurde das gebetsmühlenartige „von Athen lernen“ tatsächlich durch die Kunst erfahrbar. Allerdings eher ex negativo. Winckelmanns und Klenzes historisch verständliche, schablonenartige Liebe für Griechenland lässt die aktuellen Beschwörungen des Athener Vorbilds genauso schabloniert erscheinen. Nirgendwo sonst machen bei dieser documenta die Qualität der Künstlerinnen und Künstler (besonders Geta Bratescu, Annie Sprinkle, Maria Lai) und die konzeptuellen Volten der Kuratoren (Gandhara Skulpturen und Benin Bronzen) derart Freude.

Was mir an der documenta 14 nicht gefiel: Dass die Kern-Institutionen wie Fridericianum und documenta Halle sowie die Karlsauen fast gänzlich aufgegeben wurden. Auch aus der Reibung an diesen Institutionen erwächst einer solchen internationalen Riesenschau die Möglichkeit, in der Summe opulent und präzise, verstörend und schön zugleich zu sein. In Kassel weisen die bespielten Institutionen gar nicht, und die ausgestellten Dinge nur in raren Glücksmomenten über sich hinaus. Viele Kunstwerke ersticken im Bemühen, sämtliche im Mainstream der politischen Korrektheit derzeit verhandelten Themen zu bedienen. In diesem Fall heißt das, besonders unnötige Eulen nach Athen tragen.

Meine Lieblingsdocumenta war die documenta 13, weil bei ihr selbst Dunkelheit (Tino Sehgal) und ein Luftzug (Ryan Gander) reichen künstlerischen Gehalt besaßen. Die formale Lakonie des historischen Schwarz-Weiß-Fotos mit Lee Miller in der Badewanne Adolf Hitlers (Fotos David Schermann) barst vor Inhaltsfülle. Genauso wie die frische Zusammenstellung von Korbinian Aigners detailgetreuer, saftig roter Apfelenzyklopädie mit Marc Lombardis penibel gezeichnetem Datenträger mit globalen Netzwerken von Geld, Macht und Gewalt. Zu William Kentridges kintopphaftem Jahrmarkt gegen den Lauf der Zeit kehrte ich immer wieder zurück.

Marianne Pitzen, Direktorin des Frauenmuseums Bonn

Die Institution documenta ist für mich Anregerin, sogar Erregerin, also für meine Arbeit als Ausstellungsmacherin im Frauenmuseum ziemlich wichtig, oft auch Bestätigung!

Was mir an der documenta 14 gefiel: Der politische Anspruch, der geradezu maßlos (siehe Parthenon der verbotenen Bücher) die Kunst vereinnahmt und in die Pflicht nimmt. Einige Leute nervt das zwar, aber ich persönlich suche genau diese Kunst, die permanente Aufforderung, Stellung zu beziehen, und nicht zuletzt die sichtbar gewordene Genderdebatte oder anders gesagt, feministische Kunst (uralte US-Künstlerin Linda Benglis u.a.). Es sind nicht wenige Künstlerinnen auf dieser documenta – insofern mussten wir vom Frauenmuseum nicht wie früher einen Aufstand machen. Was aber zeigen die Künstlerinnen hier und heute? Vor allem in Foto und Video Gewalt, Elend, Chaos und Verlorensein in dieser Welt, aber es ist auch ganz schön viel Textiles dabei: Wohlbekanntes wie die rote Wolle-Säule (Cecilia Vicuna), feine, ganz zarte Werke sind dabei, die mit Geschichte und Zeitkritik aufgeladen und ernüchtert sind (Katalin Ladik, Maria Eichborn).

Was mir an der documenta 14 nicht gefiel: Oft waren die Werke trotz bester Absicht nicht Kunst, als ob richtig gute Kunst keine Klarheit vertragen würde. Zu irritierend und allzu verkopft war die Schuhfirma-Aktion von Irena Hayduck, die schwarze Eleganz der riesigen Installation passte wenig zum erhebenden Vortrag für eine bessere Welt im pechschwarzen Raum. Trotzdem habe ich die Schuhe gekauft, die nur während der Arbeit getragen werden dürfen.

Meine Lieblingsdokumenta: Eindeutig die documenta 5 von Harald Szeemann, die sich mit dem schönen Begriff „Individuelle Mythologien“ weit von den klassischen Kunstmarkt-nahen documentas entfernt hatte und so viele parallele Welten stapelte, dass man aus dem Stauen nicht mehr herauskam. Die Installationen der US-Künstler waren schon der Größe wegen beeindruckend, inhaltlich oft ergreifend. Doch, um zur Documenta 14 zurückzukommen, des ungeheuerlichen Büchertempels von Martha Minujilin wegen, wo Zeitgeschichte, kulturelles Gedächtnis und Zukunft samt Größe und Aura alles stimmt, diese 14. wird vermutlich meine Lieblingsdocumenta werden. Wie kann soviel Anspruch so überirdisch schön sein!

Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle

Die Institution documenta ist für mich… der Klassiker schlechthin unter den wiederkehrenden Ausstellungen und die absolute Numero eins auf dem internationalen Kalender. Während meiner Zeit als künstlerischer Leiter der Kunsthalle Fridericianum war ich organisatorisch in die documenta GmbH eingebunden und habe dadurch das Prinzip documenta quasi aus der hausinternen Perspektive kennengelernt und miterlebt. Das wichtigste documenta-Gebot ist die absolute Freiheit der künstlerischen Leitung. Ein einmaliger Erfolgsgarant.

Was mir an der documenta 14 gefiel: Von den Standorten her die Neue Galerie und die Neue Neue Galerie. An beiden Standorten konnten kuratorische Erzählstränge über eine weitere Strecke nachvollzogen werden. Die Auseinandersetzung mit dem Schwabinger Kunstfund durch Maria Eichhorn ist konsequent und künstlerisch überzeugend.

Was mir an der documenta 14 nicht gefiel: Die Besucherführung, die dem Anliegen der documenta 14 zu wenig gerecht wird. Und das Parthenon of Books, das in den sozialen Medien wesentlich besser funktioniert als in der Realität.

Meine Lieblingsdocumenta war die letzte documenta vor der Globalisierung, die documenta 9 (1992) von Jan Hoet und die erste documenta nach der Globalisierung, die documenta 11 (2002) von Okwui Enwezor. Jan Hoets documenta war die letzte Ausstellung aus einem Guss, die letzte documenta als Bestandsaufnahme der Gegenwartskunst, als Reflektion des „State of the Art“. Die documenta von Okwui Enwezor war die erste documenta, die explizit politisch und gleichzeitig künstlerisch gelungen war.

Die documenta in Kassel läuft noch bis 17. September. Im Internet: www.documenta14.de

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