Beethovenfest Tschaikowsky mit viel Adrenalin

Bonn · Der russische Dirigent Kirill Petrenko gastierte mit dem Bayerischen Staatsorchester in der nahezu ausverkauften Beethovenhalle. Mit Werken von Ligeti, Bartók und Tschaikwosky begeisterten die Münchner ihr Bonner Publikum.

 Direkter Draht zu den Musikern: Kirill Petrenko mit seinem Orchester bei der Probe vor dem Konzert in der Beethovenhalle.

Direkter Draht zu den Musikern: Kirill Petrenko mit seinem Orchester bei der Probe vor dem Konzert in der Beethovenhalle.

Foto: Christoph Brech

Auf dem Plattenmarkt macht sich Kirill Petrenko rar, Interviews gibt er nicht. Aber trotz seiner medialen Zurückhaltung hat es der 1972 in Omsk geborene russische Dirigent vom Geheimtipp zum Superstar der Klassikszene gebracht. Spätestens als die Berliner Philharmoniker ihn im vergangenen Jahr zum Nachfolger von Sir Simon Rattle kürten, ist sein Name zu einer eigenen Marke geworden. Berlin freilich muss sich noch bis 2019 gedulden. Bis dahin hat die Bayerische Staatsoper Petrenko exklusiv als Generalmusikdirektor, bis 2021 teilen sich die Häuser in München und Berlin dann den Chef.

Mit dem Bayerischen Staatsorchester befindet sich Petrenko derzeit auf Tour, deren vierte Station am Sonntagabend das Beethovenfest in Bonn war. Dass die Münchner sich auf dem Konzertpodium ebenso zu behaupten wissen wie im Orchestergraben, zeigten sie unter Petrenkos Leitung in der so gut wie ausverkauften Beethovenhalle sehr nachdrücklich.

Als Ouvertüre zum Konzert gab es ein Stück zu hören, das nicht eben zum Kernrepertoire eines Opernorchesters zählt, György Ligetis „Lontano“. Das 1967 uraufgeführte Werk ist die pure Verneinung eines musikalischen Dramas, hier werden keine Beethoven'schen „Durch die Nacht zum Licht“-Kämpfe ausgetragen. Die Musik vergisst die Zeit, ruht in sich und ist reiner, absichtsloser Klang, eine musikalische Skulptur sozusagen, die Petrenko mit feinem, sensiblem Gehör nachzeichnete. Töne fächerten sich auf, die so aus vielen Solostimmen gewobenen Klangflächen schimmerten geheimnisvoll, Farben flossen ineinander, Übergänge funktionierten wie filmische Überblendungen.

Diesem überaus sinnlichen Klangerlebnis folgte das Zeugnis einer enttäuschten Liebe. Béla Bartók hatte sein erstes Violinkonzert für die Geigerin Stefi Geyer geschrieben, die jedoch weder dem Werk noch seinem Schöpfer verfiel und es bis zu ihrem Tod vor der Welt verschloss. Frank Peter Zimmermann verlieh dem Solopart des erst 13 Jahre nach Bartóks Tod uraufgeführten Werk eine sehr beredte Stimme.

Die einleitende Kantilene intonierte er mit emotional glühendem Ton, der im weiteren Verlauf vom Orchester grundiert und umspielt wurde. Im virtuosen zweiten Satz hatte Zimmermann reichlich Gelegenheit, seine technische Meisterschaft unter Beweis zu stellen. Dass er darüber die Leidenschaft nicht vergaß, ließ diese Interpretation zu einer Sternstunde werden. Für den Applaus bedankte er sich mit der Allemande aus Bachs zweiter Solopartita.

Vor dem Konzert hatte Kirill Petrenko sich fast eine Stunde Zeit genommen, das Programm noch einmal zu proben. Als es um Tschaikowskys fünfte Sinfonie ging, sagte er seinen Musikern: „Natürlich kommt im Konzert noch das Adrenalin hinzu.“ Dieses Plus war in der Beethovenhalle denn auch tatsächlich zu hören – nicht nur in den massiven Blechbläsereinsätzen, sondern auch in den Holzbläsern.

Petrenko formte die Klänge mit souveräner Schlagtechnik, die er durch eine Körpersprache unterstrich, deren reiches Bewegungsvokabular auffällt. Mal scheint er sich von der Musik tragen zu lassen, mal befeuert er sie regelrecht. Das Finale jedenfalls wurde zu einem rasenden, überwältigenden Klangrausch, der aber im Klangbild immer geschmeidig und durchsichtig blieb.

Petrenko hat offensichtlich einen ganz direkten Draht zu seinen Musikern, ebenso wie zum Publikum, das ihn und das Orchester stehend feierte. Zum Dank spendierten Petrenko und die Münchner noch eine feurige Aufführung der Ouvertüre zu Glinkas „Ruslan und Ludmilla“. Der Abend wurde live auf den Marktplatz übertragen, wo laut Veranstalter noch einmal 1.500 Menschen das Konzert vor der Leinwand verfolgten.

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