Salzburger Festspiele Trübsal auf der Bühne

Peter Sellars inszeniert in Salzburg die Oper „La Clemenza di Tito“. Mozarts Musik bleibt wie immer als nachhaltigste Kraft bestehen, und die wird von Teodor Currentzis besorgt

 Der Kaiser hat seinem Attentäter verziehen: Russell Thomas (als geschwächter Titus) und Marianne Crebassa (Sextus) auf der Salzburger Intensivstation. FOTO: RUTH WALZ/SALZBURGER FESTSPIELE

Der Kaiser hat seinem Attentäter verziehen: Russell Thomas (als geschwächter Titus) und Marianne Crebassa (Sextus) auf der Salzburger Intensivstation. FOTO: RUTH WALZ/SALZBURGER FESTSPIELE

Foto: Walz

Der römische Kaiser Titus ist einem Terroranschlag zum Opfer gefallen. Von einem Attentäter namens Sextus wurde er mit einer Pistole erschossen. Auch das Kapitol wurde in Brand gesetzt. Noch vom Totenbett im nahen Hospital verzieh der Kaiser dem Terroristen und auch der Drahtzieherin, einer adeligen Frau namens Vitellia. Beide hätten, so die Begründung des Sterbenden, nicht ihn als Machthaber, sondern als Menschen treffen wollen, diesen Akt personaler Rache und Eifersucht könne er verzeihen. Überhaupt, sagte der Kaiser weiter, sei Barmherzigkeit in unseren Tagen dringend erforderlich. In spontanen Beileidsbekundungen legten viele Bürger Roms am Kapitol Blumen nieder.

Handelt es sich hier um einen Sonderfall von Fake News? Im Original von Mozarts Oper „La clemenza di Tito“ wird der Kaiser beim Attentat verwechselt, ist am Ende wohlauf und hat es ganz leicht, Nachsicht zu üben. In der Salzburger Neuinszenierung durch den Regisseur Peter Sellars beißt Titus einen ganzen dritten Akt lang ins Gras beziehungsweise ins Bettlaken und hat vielleicht nicht mehr die Kraft, über die optimale Vergeltung nachzusinnen. Er verzeiht und fällt dann tot aus dem Bett der Intensivstation.

Sellars zieht Parallelen zu Nelson Mandela; ihm geht es um die Größe der Güte und der Gnade, und wenn einer sein Leben dabei lässt, sei sie deutlich höher einzuschätzen. Bei Sextus komme indes strafmildernd hinzu, dass er zum Mörder aus Liebe geworden sei: Vitellia, in die er unsterblich verliebt sei, habe ihn zu der Tat gedungen.

Maschinenpistolen aus der Mottenkiste des Musiktheaters

Wir müssen das alles weder glauben noch für realistisch halten; jenseits aller Staatsräson geht es einzig um Mozarts menschenfreundliche Utopie, und ein tödliches Ende verstärkt sie nur. Die Frage allerdings, ob Sellars sie glaubwürdig erzählt, darf verneint werden. Die Bühne der Salzburger Felsenreitschule (George Tsypin) ist kahl und wird nur von beweglichen Stelen bevölkert, die bei einem Designwettbewerb vermutlich den Preis für „besonders unverständliche Konzeption“ gewonnen hätten. An diesem Abend scheint freilich alles erlaubt, und so wundert man sich auch nicht, dass die Partitur um einige Arien und Rezitative erleichtert und das Vakuum mit Arien und Chorsätzen aus Mozarts c-Moll-Messe und der Maurerischen Trauermusik gefüllt wird; zwischendurch erklingen zudem Adagio und Fuge c-Moll.

Moll, das ist die Überschrift dieses Abends. Es herrscht eine gewisse Trübsal auf der Bühne, auch wenn Sellars die guten alten Maschinenpistolen aus der Mottenkiste des Musiktheaters hervorgeholt hat. Der Chor reckt die Arme und ruft Gott an; welchen Gott die Sänger meinen, dürfen wir uns aussuchen. Wie Islamisten sehen diese Leute nicht aus, es sind offenbar Flüchtlinge aus aller Herren Länder.

Mozarts Musik bleibt wie immer als nachhaltigste Kraft bestehen, und die wird von Teodor Currentzis besorgt. Sein Mozart besitzt urwüchsigen Zorn und das Recht auf verzehrende Langsamkeit; die Rezitative werden abgelöst durch improvisatorisch wirkende, aber abgezirkelte Zwischenspiele des Hammerklaviers. Es handelt sich um aufgemotztes Verbindungsgeklimper. Currentzis‘ Orchester namens MusicAeterna aus Perm spielt mit höchstem Gehorsam gegenüber den teils innovativen, teils verstörend gestrigen Ideen ihres Chefs, und der famose Chor aus Perm singt brillant in den mutwillig zugefügten Stücken, die eine raffinierte Beschäftigungsmaßnahme auf dem Rücken der Kunstfreiheit darstellen.

Mozart erträgt das alles geduldig, gelegentlich auch hocherfreut, vor allem wegen der Sänger. Der Star ist Marianne Crebassa als Attentäter Sextus: Ihre Koloraturen tanzen einen schwindlig, ihr Timbre ist reif und schillernd, ihre nervöse Anmut bezaubernd – und ihr Duett mit dem Klarinettisten auf offener Bühne wird einem ewig in Erinnerung bleiben. Daneben imponiert der grazile Charme, den Christina Gansch in die Sopran-Partie der Servilia investiert. Die große B-Dur-Arie gelingt dem Titus von Russell Thomas leider nur in Maßen; dies ist vermutlich dem gesundheitlich bedenklichen Zustand des Kaisers geschuldet.

Das Publikum nahm die humanistische Botschaft begeistert entgegen; sein Urteil fiel seinerseits in allen Punkten der Anklage gnädig aus.

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