Neues Buch von Tuvia Tenenbom Schonungsloser Rundumschlag

Tuvia Tenenboms Buch „Allein unter Flüchtlingen“ provoziert und wirft Fragen auf. Das Besondere an diesem Buch ist, dass der Leser am Ende ratlos bleibt.

Rauchen schadet der Gesundheit: Der jüdische Autor und Regisseur Tuvia Tenenbom.

Rauchen schadet der Gesundheit: Der jüdische Autor und Regisseur Tuvia Tenenbom.

Foto: picture alliance / dpa

Schon früher hat der israelisch-amerikanische Autor Tuvia Tenenbom die Bundesrepublik erkundet. 2015 erschien sein Reisebericht „Allein unter Deutschen“, in dem er Nationalstolz und Antisemitismus auf den Grund ging. Zuletzt kam die deutsche Übersetzung von „Allein unter Flüchtlingen“ heraus – abermals eine Reise quer durch Deutschland, doch diesmal besucht Tenenbom Flüchtlingsheime, spricht mit Syrern und Afghanen, mit Politikern und Leuten, die er auf der Straße trifft.

Der Journalist Tenenbom pflügt sich dabei durch sämtliche politischen Richtungen: Er trifft den Pegida-Kopf Lutz Bachmann, unterhält sich mit Frauke Petry und frühstückt mit Gregor Gysi. Tenenbom sieht seine Aufgabe dabei vor allem darin, Fragen zu stellen. Und das macht er schonungslos. Er fragt zum Beispiel danach, warum Deutschland mehr Flüchtlinge als andere europäische Länder aufgenommen habe. Die häufigste Antwort der Befragten: „Die Geschichte ist der Grund.“ Er fragt Flüchtlinge nach den Bedingungen in den Unterkünften, begleitet seine neuen Freunde und ist schockiert – Dreck, das Fehlen jeglicher Privatsphäre, Hoffnungslosigkeit und Gewalt bestimmen den Alltag.

Abseits von politischer Korrektheit

Was „Allein unter Flüchtlingen“ so lesenswert macht, ist vor allem die Authentizität Tenenboms: Er geht hin und fragt, unverkopft, ohne eine politische Ideologie zu verfolgen, die er seinen Journalistenkollegen vorwirft. Er will seine Leser nicht erziehen, sondern Fragen stellen und Fakten präsentieren.

Abseits jeder politischen Korrektheit stellt Tenenbom dabei auch Thesen in den Raum: Hat sich die Bundesregierung nur deshalb getraut, die Ermordung der Armenier im Jahre 1915 als Völkermord zu bezeichnen, weil Deutschland sich durch die Aufnahme von mehr als einer Million Flüchtlingen von seiner alten Schuld freigekauft hat? „Nur so eine Idee“, kommentiert der Autor seinen Gedanken, ohne sich auf irgendetwas festlegen zu wollen.

Mit derselben Leichtigkeit beschreibt er auch sein Treffen mit Frauke Petry und resümiert: „Sie ist keine Dämonin, muss ich Ihnen leider mitteilen.“ Zuvor hatten die beiden darüber gesprochen, dass Petrys Kinder in der Schule unter Mobbing zu leiden haben. Solche persönlichen Einblicke regen dazu an, auch den eigenen Blick wieder zu öffnen und zu erkennen, dass man es immer – egal, wie sehr man eine bestimmte politische Richtung verachtet – mit Menschen zu tun hat, und die verdienen nun einmal Achtung. Überhaupt ist Tenenboms Buch geprägt von seiner ganz persönlichen Anteilnahme an Menschen und ihren Schicksalen, seien es Flüchtlinge oder politische Rechtsaußen. Der Autor schont dabei niemanden und schildert auch, wie der 26-jährige syrische Flüchtling Ali ihn nicht mehr treffen möchte, nachdem er sich im Internet über den Autor informiert hat – Tenenbom ist Jude.

Fernhalten von jeder Ideologie

Das Besondere an diesem Buch ist, dass der Leser am Ende ratlos bleibt. Es bietet keine Lösungen an, sortiert nicht in richtig oder falsch, auch rechts und links sind nicht die maßgeblichen Kategorien. Stattdessen zählen Menschenwürde und Anteilnahme. Denn Tenenbom prangert Rassisten ebenso an, wie er sich über die Ausländer empört, die in der Silvesternacht 2015/16 in Köln Verbrechen begingen. Dieser Rundumschlag gelingt ihm deshalb, weil er sich von jeder Ideologie fernhält.

Wer sich nicht gern provozieren lässt, dem sei allerdings von dem Buch abgeraten. Tenenboms ungefilterte Ausdrucksweise eckt nämlich gern an: Fragen wie „Wer in Hitlers Namen hat Leipzig geplant?“ lassen den Leser vermutlich erst einmal stutzen. Auch Bemerkungen wie: Frauke Petry habe „eine prima Figur“ wirken fehl am Platz. Aber „Allein unter Flüchtlingen“ soll offenbar ganz bewusst Grenzen überschreiten. Tenenboms Rassismusvorwürfe ließen sich deshalb an einigen Stellen auch gegen ihn selbst verwenden, würde der Leser nicht wissen, dass er nur mit ihnen spielt, um zu provozieren.

„Allein unter Flüchtlingen“ liefert keine trockenen Zahlen, sondern beschreibt Eindrücke und erzählt Geschichten – solche, die man ohne die Arbeit Tenenboms niemals gehört hätte. Sie regen dazu an, sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen, sich eingehender zu informieren und vor allem die eigene Haltung zu überdenken.

Tuvia Tenenbom: Allein unter Flüchtlingen. Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Adrian und Bettina Engels. Suhrkamp, 234 Seiten, 13,95 Euro.

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