Kolumne zu Abkürzungen Nicht jeder Kürze wohnt ein Zauber inne

Meinung · Schon ganz am Anfang des Berufslebens lernt jeder Journalist: Abkürzungen nur gebrauchen, wenn es gar nicht anders geht! Das hat gute Gründe.

 Die Amerikaner machten aus dem staatsmännischen William Jefferson Clinton lieber den kumpelhaften „Bill“. Seine Frau Hillary trägt hingegen keine Abkürzung als Namen.

Die Amerikaner machten aus dem staatsmännischen William Jefferson Clinton lieber den kumpelhaften „Bill“. Seine Frau Hillary trägt hingegen keine Abkürzung als Namen.

Foto: AFP

Abkürzungen sind sprachliche Mogelpackungen. Sie packen mehr in ein Wort, als hineingehört. Sie schließen jeden aus, der sie nicht versteht. Sie lassen geheimnisvoll klingen, was banal oder lächerlich ist.

Noch einigermaßen nachvollziehbar sind sie bei bürokratischen Bezeichnungs-Ungetümen für diverse Behörden – die Sprache möchte das Wortmonster zur Niedlichkeit zähmen und macht die Postuniversaldienstleistungsverordnung zur „Pudel-Vau“, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum „Beh-Farm“ und die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zur „Reg-Teh-Peh“ (heute heißt sie, viel einfacher, Bundesnetzagentur).

Misstrauen jedoch ist angebracht, wenn Abkürzungen zum Selbstzweck werden – wenn einer zum Beispiel zeigen will, dass er zu einer Elite gehört. Jener Außenminister etwa, der mit seiner Klugheit beeindruck(en woll)te, indem er aus der Uno in all seinen Reden „die Vau-Enn“ machte. Auch wer gern predigt und kommandiert, neigt dazu, viel Gerede auf sehr geringen Raum zu quetschen: Vor allem Diktaturen ergehen sich gern im Abkürzungswahn.

An der Güst wurde der Kah-Eff ausgespäht

Zu ungekrönter Meisterschaft brachte es hierbei die DDR – logisch, ihr Name war schließlich selbst eine Abkürzung. Nicht nur in der Behörden-Schreibe, auch im gesprochenen Ostdeutsch wuselten die Vaupehka-Äh (Volkspolizeikreisämter), Ah-Beh-Vau's (Abschnittsbevollmächtigter = eine Art Blockwart) oder die Güst (Grenzübergangsstelle), an der es den Kah-Eff (Klassenfeind) aus dem Enn-Ess-Weh (Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet = Westen) auszuspähen galt.

Das wirkt heute komisch, war es aber nicht. Abkürzungen lügen, verbergen, verharmlosen. Der Ih-Emm (Inoffizieller Mitarbeiter) war ein Spitzel. Die Kah-Weh (Konspirative Wohnung) war eine Räuberhöhle. DDR, SED und MfS sind Vergangenheit. Der Wahn zur Kürze nicht.

Weil Zeit Geld ist, pflegt ihn der Kapitalismus genauso, wie Mielke und Konsorten es taten. Da gibt es die hektischen Online-Chats mit ihren Chiffren wie YOLO (You only live once = Nutze den Tag), LOL (Laughing out loud = Ich lach' mich kaputt), ROTF (Rolling on the floor = Ich wälz' mich auf dem Teppich) und RTFM (Read the fucking manual = Lesen Sie die Gebrauchsanweisung, verdammt).

88 Abkürzungen in drei Minuten

Da gibt es die Amerikaner, die so ziemlich jeden Namen auf die erste Silbe verkürzen: So machen sie aus dem staatsmännischen William Jefferson Clinton lieber den kumpelhaften „Bill“ und aus der dollardicken Federal Reserve Bank die „Fed“ (was mancher als FED schreibt und somit ins Metaphysische hebt, indem er ihm gleich doppelte Abkürzungs-Optik verleiht).

Da gibt es Wissenschafts-Experten, die behaupten, nur Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik könnten uns davor bewahren, binnen weniger Jahre zum bildungspolitischen Drittweltvolk abzusinken. Leider machen diese Disziplinen nicht jedem Schüler wirklich Spaß. Wie nennt man sie also, damit es toller klingt? „MINT“ – obwohl sie beim Lernen nicht immer prickeln wie Pfefferminz und sich nach dem Abschluss beileibe nicht immer in klingender Münze auszahlen.

Manchmal jedoch, ganz selten, erinnern sich die Abkürzungen, dass sie eigentlich Sprache und daher zur Poesie fähig sind. So haben die Fantastischen Vier, Rap-Künstler aus Stuttgart, in ihrem Lied „MfG“ diverse Kürzel zu Versen gefasst. „FAZ, BWL und FDP / EDV, IBM und WWW / HSV, VfB, olé olé.“ U.s.w., dreieinhalb Minuten lang; 88 Abkürzungen gerinnen zu einer Gesamtbeschreibung der Gegenwart. Gut, dass der Kürze zuweilen doch noch Zauber innewohnt. Schönes WE.

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