Interview mit Hans Walter Hüttler "Nach der Revision ist vor der Revision"

Bonn · Der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte Hans Walter Hütter spricht über die neu gestaltete Dauerausstellung im Bonner Haus der Geschichte. Bundespräsident Walter Steinmeier eröffnet sie am Montag

Haben Sie das Scheitern von „Jamaika“ schon in die Dauerausstellung eingearbeitet?

Hans Walter Hütter: (lacht) Nein.

Was ist denn das jüngste, aktuellste Ereignis, das Sie dokumentieren?

Hütter: Wir präsentieren die Bundestagsergebnisse vom 24. September mit allen Abgeordnetenbiografien und zeigen an den Wahlterminals auch Kurzfilme über die Spitzen des Staates.

Wagen Sie eine Prognose für die neue Regierung?

Hütter: Als Historiker blicken wir auf die Fakten. Politische Prognosen zu wagen, ist nicht unsere Aufgabe. Selbst Politikwissenschaftler beißen sich daran die Zähne aus. Wir werden das Ergebnis natürlich zeitnah zeigen.

Welche weiteren aktuellen Themen haben Sie einbezogen?

Hütter: Beispielsweise Themen wie Migration und die Flüchtlingskrise. Am Ende der vergangenen drei Jahrzehnte, die wir völlig neu gestaltet haben, ist der Übergang zwischen Gegenwart und Zukunft deutlicher als früher. Digitalisierung, internationaler Terrorismus und die Flüchtlingskrise sind zwar Themen der jüngsten Vergangenheit, gleichzeitig aber auch aktuelle Realität, und in Zukunft werden sie uns noch länger beschäftigen. Zentrale Objekte werden das dokumentieren.

Wie hat man sich das vorzustellen?

Hütter: Wir zeigen das Flüchtlingsboot von Kardinal Woelki, das mit dem Bug in das Ende der Ausstellung ragt. Der Besucher trifft, wenn er die Ausstellung verlassen hat und in der Gegenwart angekommen ist, erneut auf das Heck des Bootes. Das Thema lässt ihn derzeit nicht los.

Haben Sie überhaupt Platz, um, sagen wir einmal, die nächsten fünf Jahre in die Ausstellung einzupflegen?

Hütter: Wir können die Ausstellung öfter aktualisieren, aber es wird sehr dicht zum Ende der Ausstellung hin. Der nächste große Schritt wird eine völlige Revision der Dauerausstellung sein müssen. Der Platz für die letzten drei Jahrzehnte ist im Vergleich zu den Anfangsjahren relativ gering. Damit werden wir uns beschäftigen, nachdem wir im Herbst 2018 die Dauerausstellung in unserem Leipziger Haus völlig erneuert haben werden. Dann werden wir in den Gremien die völlig Überarbeitung für Bonn besprechen. Das dauert einige Jahre.

Nach der Revision ist vor der Revision?

Hütter: Wir haben 1994 eröffnet, 2001 einen Teil aktualisiert, 2011 haben wir die Hälfte der Ausstellung umgebaut und jetzt 2017 die letzten 30 Jahre. Außerdem haben wir für den gesamten Zeitraum einiges ausgetauscht und ergänzt.

Haben Sie bei den Anfängen der Ausstellung etwas verändert?

Hütter: Der Eingangsbereich ist jetzt konzentrierter. Das Kaufhaus ist neu eingerichtet und neu beleuchtet. Wir haben das Urteil im Eichmannprozess, Jerusalem 1962, in der Fassung, die die Übersetzerin als Arbeitsexemplar hatte, in den Bereich der Auschwitzprozesse integriert. Ein sehr emotionales Exponat. Im Bereich der RAF hätte ich gerne die Tür der „Landshut“ gezeigt. Das war unser Ziel. Aber das ganze Flugzeug steht nun in Friedrichshafen – und wir freuen uns auf die spätere Präsentation.

Was ist ganz neu?

Hütter: Mit der KSZE (Anm. d. Red: Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ab 1973) beginnt der Teil der Ausstellung, den wir völlig überarbeitet haben. Sie wird internationaler, inhaltlich aktueller und emotionaler als bisher. Im Bereich, wo es um den Wandel in Osteuropa geht, hatten wir bisher die friedliche Revolution in Ostdeutschland im Blick. Fußend auf der neueren Forschung und einer veränderten Objektlage werden wir nun zeigen, wie die internationale Entwicklung verlief. Ohne „Solidarnosc“, ohne Gorbatschow und die Entwicklungen in Ost-Europa ist die friedliche Revolution in der DDR nicht denkbar.

Wie visualisieren Sie das?

Hütter: Die Öffnung der Grenze von Ungarn nach Österreich war ein wesentlicher Durchbruch. Damit war die Abschottung der Länder im Osten nicht mehr zu halten. Bislang zeigten wir ein 20 Zentimeter langes Stück Stacheldraht von dieser Grenze in einer Vitrine. Wir haben jetzt zwei originale Grenzpfosten mit Stacheldraht, ein Originalstück des Eisernen Vorhangs, und präsentieren das unübersehbar. Wir werden auch die Akteure der damaligen Zeit herausstellen. Wir zeigen auch die VHS-Videokamera des Bürgerrechtlers, mit der die uns bekannten Aufnahmen am 9. Oktober 1989 auf dem Leipziger Ring vor dem Hauptbahnhof gemacht wurden, diese grünstichigen Bilder. Sie wurden in den Westen geschmuggelt und abends in der Tagesschau gezeigt. Durch diese Fernsehbilder wurde damals das Phänomen der Montagsdemonstrationen in breiter Öffentlichkeit bekannt.

Wie unterscheidet sich die aktuelle Inszenierung von der früheren Dauerausstellung?

Hütter: Insgesamt sind die Bilder großformatiger geworden. Die Leitobjekte führen den Besucher klarer auf die zentralen Aussagen zu. Den Mauerfall dokumentieren wir als zentralen Eindruck, ergänzt durch den Schabowski-Zettel. Das Brandenburger Tor bildet einen eigenen Raum – als Symbol für die Vereinigung. In diesem Raum wird der Weg zur Vereinigung dokumentiert, der am 3. Oktober 1990 seinen glücklichen Abschluss fand.

Wie geht es auf dem historischen Parcours weiter?

Hütter: Das innere Zusammenwachsen dokumentieren wir zum Beispiel mit Zeitzeugen. Wir lassen Menschen unterschiedlichen Alters und Herkunft zu Wort kommen. So wird Geschichte persönlich, werden Geschichten erzählt. Wir konzentrieren uns dann auf die neue Bundeshauptstadt, zeigen das Modell des neuen Kanzleramts und widmen uns dem neuen Selbstbewusstsein. Die Republik präsentiert sich in Berlin anders als in Bonn. Und mit dem Sommermärchen 2006 ist Schwarz-Rot-Gold wieder „in“.

Da sind wir ja schon fast in der Gegenwart.

Hütter: Digitalisierung, Globalisierung und internationaler Terrorismus sind aktuelle Themen. Wir werden eine Paketdrohne zeigen und haben eine neue Mitarbeiterin: „Eva“ ist ein 1,70 Meter großer Roboter, der die Besucher anspricht und drei zentrale Objekte der Ausstellung erklärt. Am Ausstellungsende kommen wir zu den neuen Medienwelten. Es wird eine LED-Medienwand geben, auf der sich die individuellen Einschätzungen der Besucher nach dem historischen Rundgang spiegeln.

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