Jazzfest Bonn Musik zwischen Traum und Rausch

Bonn · Beinahe klassischer Tastenzauber findet sich beim Jazzfest ebenso wie von Rockmusik inspirierte Klänge: Konzerte im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses und im LVR Landesmuseum

 Jazzpianistin Trummer

Jazzpianistin Trummer

Foto: sca

Eine Brücke zwischen Klassik und Jazz werde an diesem Abend nicht geschlagen, sagt Intendant Peter Materna. Denn Brücken setzen Gräben voraus. Und diese Gräben gibt es nicht. Vielmehr gäbe es „gute“ und „schlechte“ Musik – und die Musik des neunten Abends des Jazzfests gehörte eindeutig zu dem besten, was in diesem Genre zu erwarten ist. Olivia Trummer & Jean-Lou Treboux sowie Roger Hanschel & das Auryn Quartett zeigten sich in beeindruckender Höchstform beim erneut ausverkauften Doppelkonzert im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses.

Der Abend begann mit „Classical to Jazz One“ der Jazzpianistin, Sängerin und Komponistin Olivia Trummer. Im Zusammenspiel mit ihrem langjährigen Partner Jean-Lou Treboux besinnt sich die knapp 30-Jährige auf ihre musikalischen Wurzeln und ihre klassische Klavierausbildung, bei der sie von früher Kindheit an lernte, Musik übers Gehör zu erfassen. In ihrem Spiel entwickeln die beiden eigenständige Dialoge, die auf Werken etwa von Bach, Mozart oder Scarlatti basieren, wobei sie klassische Formen (Menuett, Präludium, Reprise) aufgreifen und in ein zeitgenössisches Spannungsfeld zur Improvisation stellen. Trummer und Treboux geben sich dabei ganz ihrer spontanen Eingebung hin, sodass sich in der kreativ-lebendigen Interaktion zwischen Piano, Vibraphon und Stimme wunderschöne, offene Klangwelten entwickeln.

Saxofonist Roger Hanschel und das renommierte Auryn Quartett knüpften hier nach der Pause an. Sie warteten mit hochkomplexen modernen Kompositionen Hanschels auf, die explizit dieser Formation auf den Leib geschrieben sind und technisch am Rand der Spielbarkeit entlangschrammen. Beeindruckend dabei Hanschels solistische Höhenflüge. Und auch beim Auryn Quartett hört man bei jedem Ton, dass die fantastischen Musiker Matthias Lingenfelder, Jens Oppermann (beide Violine), Steward Eaton (Viola) und Andreas Arndt (Violoncello) traumwandlerisch sicher miteinander harmonieren und auf absolutem Weltklasseniveau spielen.

Es ist ein Abend zwischen Traum und Rausch. Ein Abend, in dem man versinkt, die Zeit vergisst und sich den Gefühlen ergibt, die einen unweigerlich zu überwältigen drohen: Erst Zärtlichkeit und Melancholie, hinterher verdichtete Ekstase. Das Jazzfest-Doppelkonzert im LVR Landesmuseum mit Rita Marcotulli und Luciano Biontini auf der einen und dem Neil Cowley Trio auf der anderen Seite des energetisch-emotionalen Spektrums lässt die Wellen hoch schlagen.

Die italienische Pianistin Rita Marcotulli ist eine alte Bekannte des Bonner Jazzfests. Schon bei der ersten Auflage vor nunmehr elf Jahren war sie mit von der Partie, jetzt lässt sie erneut ihr lyrisch-kraftvolles Spiel von den Fingern perlen und die beständig rollenden Melodien, die wie die Wellen des Meeres ihren hypnotischen Reigen tanzen, zu ihrem Bühnenpartner Luciano Biondini fließen. Dieser begleitet Marcotulli mit seinem Akkordeon auf jener unsichtbaren Straße, die sich beide als Album-Titel gewählt haben und die sie quer durch ihre Heimat Italien führt.

Diesen Traum löst Neil Cowley dann abrupt auf und überwältigt die Zuhörer mit schier unbändiger Energie. Die anfänglich monotonen Muster, durch elektronische Hilfsmittel aufgebohrt und doch letztlich quälend repetitiv, machen bald komplexeren Strukturen Platz, entfalten sich nach und nach und legen den Jazz inmitten der Rock-Schichten frei. Während Cowley, der sonst unter anderem für Adele in die Tasten greift, einen Akkord auf den nächsten stapelt, agiert Drummer Evan Jenkins als monströser Motor und explosives Biest. Zwischen diesen beiden steht der elegische Bassist Rex Horan, der mal mit seinem Bogen für Gänsehaut sorgt und dann wieder an Synthesizern herumschraubt. Der kollektiven Wucht entfliehen nach und nach manche Besucher, verpassen dadurch aber einige fantastische Balladen.

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