Klais-Orgel in Hamburg Mitten im Klangbad

Hamburg · Die Lettin Iveta Apkalna begeistert bei der Premiere an der Klais-Orgel in der Hamburger Elbphilharmonie. Und zum Finale durfte es auch mal ein Techno-ähnliches Stück wie Thierry Escaichs „Evocation II“ sein.

 Jahrhundertinstrument: Iveta Apkalna entlockt dem Werk des Bonner Orgelbauers Klais in der Elbphilharmonie Klänge voller Kraft und Transparenz.

Jahrhundertinstrument: Iveta Apkalna entlockt dem Werk des Bonner Orgelbauers Klais in der Elbphilharmonie Klänge voller Kraft und Transparenz.

Foto: Elbphilharmonie

Orgelmusik muss sehr fein dosiert werden“, hatte Philipp Klais noch vorab in der Einführung gewarnt. „So wie ein Saunabesuch für fünf Minuten der Himmel ist, aber nach einer Stunde dann doch sehr warm wird.“ Doch die Worte des Bonner Orgelbauers verhallten im Großen Saal der Elbphilharmonie, die Hamburger konnten vom jüngsten Instrument aus der Bonner Familien-Manufaktur bei dessen Premiere einfach nicht genug bekommen: Fast zwei Stunden (ohne Pause!) zog Iveta Apkalna alle Register ihrer Kunst, ließ die Titularorganistin des neuen Klassik-Tempels an der Elbe ihre Finger über die Manuale wirbeln und tanzte mit ihren Füßen – wie stets in goldenen Lederschuhen – über die Pedale.

Ohne dass die 2000 Besucher der Klangwunder übersättigt gewesen wären: „Wir hätten gern noch 15 weitere Zugabe bekommen“, stellte beim Empfang hernach Bürgermeister Olaf Scholz schmunzelnd fest – für gewöhnlich eher ein Fan von Blues- und Rockmusik. Und doch hatte den kleinen, sonst eher nüchternen Mann das eben erlebte Klangwunder offenbar ähnlich überwältigt wie all die anderen Besucher auf den Weinbergterrassen-ähnlich ansteigenden Rängen rund um die Bühne. Und das dürfte kaum (allein) an dem gewagten, tiefen Rückendekolletee Apkalnas gelegen haben…

Wunderbar warmer und runder Klang

Saß die Lettin mit dem geflochtenen blonden Haarkranz doch dank des mobilen Spieltisches mitten im Saal – und nicht wie sonst bei (Kirchen-)Orgeln üblich über, am Rande oder fernab der Szenerie. Und so ward der Ton nicht nur hörbar, sondern auch von Anfang an im doppelten Sinne körperlich spürbar: Wie die 40-Jährige da die Toccata ihres Landsmanns Aivars Kalejs über Bachs Choral „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ gleichsam aus dem Nichts anschwellen ließ, machte schnell klar, welch wunderbar warmer und runder Klang Klais trotz der gnadenlosen Überakustik des Saals gelungen ist und in welch ein Klangbad die Hörer hier eintauchen können. Auf vier Etagen sind die vier Teilwerke des Instruments verteilt, die mit den vier Manualen korrespondieren, die größte der 4765 Pfeifen ist zehn Meter hoch, auf einige ihrer Schwestern gibt die an einer Stelle durchbrochene, gefräste weiße Gipshaut den Blick frei – ja, Besucher können diese Pfeifen sogar berühren.

Das Instrument vermag sehr viele Farben zu kombinieren

Auch dies schafft eine weitere Nähe zu dem „majestätischen, eleganten und sehr selbstbewussten Mann“, als den Apkalna ihren neuen Liebhaber im Interview beschrieben hat. Und den sie doch gekonnt zu nehmen weiß, wie ihr kraftvolles und klar gezeichnetes Spiel in Bachs Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 zeigte, in der ihre Pedalpräsenz ebenso beeindruckte wie die subtile Farbigkeit. Was eine weitere Stärke des Instruments andeutete: Es vermag sehr viele Farben zu kombinieren und damit dem Gesang bisweilen sehr nahe zu kommen – nicht zuletzt ob des eher Orgel-untypisch kurzen Nachhalls, der das Klangbad nie zu einer Klangsuppe werden lässt. Selbst die dunkel-dröhnenden Cluster in Gubaidulinas „Hell und Dunkel“ blieben hier erstaunlich differenziert, während Apkalna in den gleißenden Trillerketten brillant ihre Virtuosität ausspielen konnte.

Und schon bei ihrer Premiere als Titularorganistin deutlich machte, dass die bildhübsche Musikerin in der Elbphilharmonie auf Programme jenseits der Gefälligkeit und des Schönklangs setzen und dabei ihren neuen Liebhaber wirklich erkunden will. Sei es in den letzten vier Registern, die hoch oben unter der Decke in dem gewaltigen, trichterförmigen Reflektor verstaut sind und für die Klangbäder sorgen; sei es in der fürwahr großen dynamischen Breite, die die Musikerin insbesondere in der spätromantischen Sonata Eroica Joseph Jongens in ihrer ganzen orchestralen überwältigenden Üppigkeit auskostete; oder auch in den sehr, sehr leisen Registern, deren Frequenzen Seelen-Massagen bescherten.

Und zum Finale durfte es da dann eben auch mal ein Techno-ähnliches Stück wie Thierry Escaichs „Evocation II“ sein, deren harsche, ja brutale Einwürfe Apkalna bis zum Schluss immer weiter zuzuspitzen wusste – und damit noch einmal die große akustische Stärke der Klais-Orgel in der Elbphilharmonie intensiv verdeutlichte: Hier ist tatsächlich eine jede Schicht der oftmals gewaltigen Werke hörbar, gehen Kraft und Transparenz eine gar wundervolle Ehe ein, deren Klang(-Kind) die Hörer aufs Berührendste umarmt. Ohne dass über diese Umarmung das mystisch-meditative Element verloren ginge wie etwa im sogartigen Finale des dritten Aktes aus der Glass-Oper „Satyagraha“ oder auch der zugegebenen Prokofjew-„Toccata“, die das Publikum in der ausverkauften Elbphilharmonie endgültig von den Sitzen riss.

Apkalna indes lenkte den jubelnden Beifall gen Orgel – und zog hernach beim Empfang den zurückhaltenden Klais wie einen Triumphator aufs Podium. Zu Recht, denn der Bonner hat hier in der Elbphilharmonie zweifellos ein Jahrhundertinstrument geschaffen.

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