Berlinale: Bilanz des Wettbewerbs Meist nur Mittelmaß

Berliner Filmfestspiele: Im Wettbewerb lief kein wirklich großartiger, aufwühlender Film. Am Samstagabend werden die Preise vergeben.

 Er hätte einen Darsteller-Bären verdient: Steve Coogan (mit Laura Linney) in einer Szene des Films „The Dinner“. FOTO: TESUCO HOLDINGS LTD / DPA

Er hätte einen Darsteller-Bären verdient: Steve Coogan (mit Laura Linney) in einer Szene des Films „The Dinner“. FOTO: TESUCO HOLDINGS LTD / DPA

Foto: dpa

Für den letzten Wettbewerbstag hat sich die Berlinale noch einen Joker zurückgehalten: Der rumänische Regisseur Calin Peter Netzer, der 2013 für „Mutter und Sohn“ den Goldenen Bären bekam, porträtiert mit „Ana, mon amour“ in einer klug konzipierten, unchronologischen Erzählweise die Machtverschiebungen in einer ungleichen Liebesbeziehung.

Ana (Diana Cavallioti) ist psychisch labil, leidet unter Panikattacken und Depressionen. In Toma (Mircea Postelnicu) scheint die Literaturstudentin einen verständnisvollen Partner gefunden zu haben. Durch alle Krisen hindurch steht Toma fest an ihrer Seite, organisiert das gemeinsame Leben, die vielen Arztbesuche, zeigt als Vater und Alleinverdiener Verantwortung.

Aber Fürsorge heißt auch immer Bevormundung, und eine ungleiche Verteilung von Macht und Stärke tut keiner Beziehung gut. Ohne tendenziöse Parteinahme und mit psychoanalytischem Blick gräbt sich der Film tief hinein in die Abhängigkeitsstrukturen dieser Liebe, die ihre Ursache wiederum in eigenen frühkindlichen Prägungen haben. „Ana, mon amour“ ist ein Film, der weiß, was er will, und das auch zu erzählen versteht.

Das konnte man beim besten Willen nicht von vielen Filmen in diesem schwachen Wettbewerbsjahrgang behaupten, der Entbehrliches, viel Mittelmäßiges und nichts wirklich Herausragendes hervorgebracht hat. Ganz anders als im letzten Jahr war kein einziger Film dabei, der einen wirklich aufwühlte und unmittelbaren Diskussionsbedarf produzierte.

Das große Achselzucken machte sich immer mehr breit nach den morgendlichen Pressevorstellungen im Berlinale-Palast. Andere, kontroverse, wütende und enthusiastische Filme hat Jurypräsident Paul Verhoeven, der sich ja selbst als Kinoprovokateur einen Namen gemacht hat, zu Beginn der Berlinale gewünscht, und genau daran hat es in diesem Wettbewerbsprogramm gefehlt. Fast unmöglich scheint es vor diesem Hintergrund, Prognosen für die Bärenvergabe zu stellen. Als Kritikerliebling liegt Aki Kaurismäkis „Auf der anderen Seite der Hoffnung“ ganz weit vorne. In künstlerischer Hinsicht gehört dieser Film sicherlich zu den wenigen, die wirklich Weltniveau zeigten. Sogar die politische Botschaft stimmte, und ein alter Berlinale-Hase ist der Regisseur auch.

Aber kontrovers und provokativ ist der Film, in dem sich Kaurismäki ganz in seiner Komfortszene bewegt, allerdings nicht. Da haben die Regisseurinnen sich im diesjährigen Wettbewerb weiter vorgewagt. Agnieszka Holland schräger Veganer-Thriller „Pokot“ aus den Tiefen der polnischen Provinz, Sally Potters messerscharfe Abrechnung mit dem linksliberalen Establishment in „The Party“, aber auch und vor allem Ildikó Enyedi zart-unkonventionelle Schlachthof-Liebesgeschichte „On Body and Soul“ dürften da schon eher ins Beuteschema der Jury bei der Vergabe des Goldenen Bären passen. Bei den Darstellerpreisen liegt die Qual der Wahl hingegen nicht im mangelnden Angebot, sondern in der qualitativen Vielfalt.

Das gesamte Ensemble von „The Party“ hätte einen Kollektiv-Bären verdient. Daniela Vega dürfte für ihre Darstellung als Transsexuelle in dem chilenischen Beitrag „A Fantastic Woman“ genauso in der engeren Wahl sein wie die Kongolesin Véro Tshanda Beya für ihre Rolle in „Félicité“. Bei den Männern hätte Steve Coogan für „The Dinner“ eine Auszeichnung verdient. Eines steht auf jeden Fall jetzt schon fest: Die Preisverleihung am Samstagabend wird in diesem Jahr spannender ausfallen als der Wettbewerb.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort