Ausstellung vom Haus der Geschichte Liebeserklärung mit der Kamera

Bonn · Das Bonner Haus der Geschichte zeigt im Pavillon die großartigen DDR-Fotos von Gundula Schulze Eldowy. Prorträts von Menschen in einem kollabierenden System.

 Adieu Tristesse: Gundula Schulze Eldowys Engel im Ostberliner Hinterhof, 1987. FOTO: HAUS DER GESCHICHTE

Adieu Tristesse: Gundula Schulze Eldowys Engel im Ostberliner Hinterhof, 1987. FOTO: HAUS DER GESCHICHTE

Foto: HdG

Ein zarter Engel in einem maroden Ostberliner Hinterhof zwei Jahre vor dem Ende der DDR: Gundula Schulze Eldowy sei eher zufällig zu diesem Motiv gekommen, erzählt sie. „Marie, du siehst aus wie ein Engel“, hatte sie dem Nachbarsmädchen gesagt. Das sagte: „Ich bin ein Engel“, verschwand in der Wohnung und kehrte mit Flügeln und im rosa Nachthemd zurück. Und so steht Marie da, selbstbewusst mit einem Hauch Skepsis im Blick. Die 1954 in Erfurt geborene Gundula Schulze Eldowy hat eine Gabe, Menschen zu öffnen, das ist in ihren Bilderserien zu spüren. „Zuhause ist ein fernes Land“, so ist eine Ausstellung des Hauses der Geschichte im ehemaligen Pavillon des Bundespresseamtes überschrieben, die vier Zyklen aus der DDR-Zeit präsentiert. Sie sind eine Liebeserklärung an die Menschen in einem kollabierenden Staat.

„Mit 15 bin ich abgehauen“, erzählt sie. In Berlin-Mitte fand die Erfurterin eine neue Heimat. Dieses Milieu in Prenzlauer Berg und im Scheunenviertel, wo die Kriegsspuren noch in den 70er Jahren unübersehbar waren, diese Menschen, die mitunter zwei Weltkriege überlebt und und vier verschiedene politische Systeme erlebt haben, faszinierten sie. Im Stil der harten, klaren US-amerikanischen Straight Photography entstand 1977 bis 1989 die wunderbare Schwarz-Weiß-Serie „Berlin in einer Hundenacht“. Einfühlsame Porträts der Abgehängten, Verwirrten, Verhärmten aus dem Kiez, einer Spezies Mensch, die im offiziellen Bild des Arbeiter- und Bauernstaates mit seiner klassenlosen Gesellschaft nicht vorkam.

Es sind Schulze Eldowys Nachbarn, sie kennt sie alle, fotografiert sie, schreibt ihre Geschichten auf. „Bald galt ich als Asi-Fotograf, das hat mir gar nicht gefallen“, erzählt sie, „ich übe keine Gesellschaftskritik, ich interessiere mich dafür, was von dem glorreichen Milieu der 20er übrig geblieben ist“.

Auch ihre Anfang der 80er entstandene Serie „Der große und der kleine Schritt“, mit der die Farbfotografie Einzug in ihr Werk hielt, stellt nicht die Systemfrage, ist keine vordergründige Anklage gegen den SED-Staat. „Ich hatte das Gefühl, dass die Gesellschaft erstarrt ist“, erzählt sie, „und habe überall angeklopft, an Wohnungen, Fabriken und Krankenhäuser“. Das Verblüffende: „Man hat mich überall reingelassen.“ Sie dringt in das Private vor, zeigt Verliebte, Tanzende, einen Zecher in Lederhosen, eine alte Dame, die sich gegen irgendetwas wehrt. Einfühlsame Innenansichten.

Die marode DDR, ihre veraltete Industrie, die mitunter bizarren Arbeitsbedingungen manifestieren sich dann in der Serie „Arbeit“ (1985-1988) in sehr intensiven Aufnahmen. Von der ruhmreichen Arbeiterklasse ist nichts zu spüren. Schulze Eldowy recherchiert unerbittlich: Die Dokumentationen aus dem Gesundheitswesen und etwa einer blutigen Zangengeburt sind an Drastik kaum zu überbieten. Auch nicht die monumentalen Berlin- und Leipzigfotos von 1982 und 1989, die grau-braune fast menschenleere Ruinenlandschaften zeigen, als sei der Krieg gerade erst zu Ende.

1985 lernt sie den großen US-Fotografen Robert Frank kennen – er schreibt ihr: „Du bist ein talentiertes Tier, fähig, die Türen zu öffnen“ und lädt sie nach New York ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat die Stasi sie auf dem Kieker. In ihrer Akte findet sie nach der Wende unter anderem beschlagnahmte Briefe an Frank, erfährt, dass sie als CIA-Agentin galt, außerdem von ihrer bevorstehenden Verhaftung. Im dafür vorgesehenen September 1989 hatten die Spitzel jedoch andere Sorgen. Von dieser „friedlichen Revolution“ berichtet das letzte Kapitel der grandiosen Schau. Wieder sind es die Individuen, auf die sich die Fotografin konzentriert. Barrikadenpathos, Euphorie: Fehlanzeige. Traurige, ausgelaugte, desillusionierte Menschen ziehen durch Leipzig, entkräftete Verwandte fallen sich in die Arme. Starke Bilder einer starken Fotografin.

Pavillon gegenüber dem Haus der Geschichte; bis 2. April 2017. Di-Fr 9-19, Sa, So 10-18 Uhr

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