Werner Spies wird 80 Licht und Schatten

Bonn · Der brillante Schreiber und gestrauchelte Kunstexperte Werner Spies wird am Samstag 80 Jahre alt. Zu seinem Geburtstag erscheint das Büchlein „Picasso zwischen Beichtstuhl und Bordell“.

 Meister der Worte: Der Kunsthistoriker Werner Spies. FOTO: DPA

Meister der Worte: Der Kunsthistoriker Werner Spies. FOTO: DPA

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Vom Dekor eines üppig gestalteten Beichtstuhls auf den perfiden Kino-Mörder Hannibal Lecter zu kommen, einen Ort der spirituellen Erlösung mit einem Schattenreich zu vergleichen – diese intellektuelle Reise kann nur einer zu Papier bringen: Werner Spies. Der flaniert weiter, um zunächst bei Fontanes „Stechlin“ zu landen, wo ein Beichtstuhl als Satansstuhl bezeichnet wird, schließlich bei Picassos künstlerischem Meilenstein „Demoiselles d'Avignon“. Zu seinem eigenen 80. Geburtstag, den er am Samstag feiert, veröffentlicht der Kunsthistoriker einen in Spies'scher Manier schlau gedrechselten, geistreich vom Hölzchen aufs Stöckchen kommenden Essay, dessen Ausgangspunkt ein 1907 entstandener, opulenter Entwurf Maurice Boilles für einen Beichtstuhl ist. Titel: „Picasso zwischen Beichtstuhl und Bordell“.

Es war still geworden um den kleinen großen Denker und Kunstvermittler Spies, der 2010 jäh vom gefeierten Gralshüter mit der Deutungshoheit über die Werke Pablo Picassos und Max Ernsts, vom Feuilletonisten, der begnadet über Kunst schreiben kann, vom Ausstellungsmacher und Erklärer jedweder Kunst, zur tragischen Figur, zur Lachnummer wurde. Er war Kunstfälschungen von Wolfgang Beltracchi aufgesessen, hatte sieben falsche Max-Ernst-Werke für echt testiert, soll dabei bei mehreren Seiten kassiert haben, hatte zuletzt den falschen Max Ernst „La Forêt“ in „seinem“ Brühler Max Ernst Museum präsentiert, ihn damit, wie Presseberichte vermuteten, nobilitiert. Das Bild wurde in Paris dann für sieben Millionen Dollar verkauft.

In Spies' 2012 erschienener Autobiografie „Mein Glück“ kann man nachlesen, dass er damals „elektrisiert“ war, seinem Werkverzeichnis von Max Ernst neue Stücke hinzufügen zu können. Otto Schulte-Kellinghaus, Komplize des Fälschers Beltracchi, hatte ihm diese Möglichkeit eröffnet. Insgesamt sieben vermeintlich unbekannte Max-Ernst-Bilder wurden dem weltweit tonangebenden Experten Spies vorgeführt. Dass er dafür Geld nahm, bezeichnete er rückblickend als einen Fehler.

Umtriebiger Netzwerker

Die Affäre Beltracchi wirft einen dunklen Schatten auf das Lebenswerk dieses geistreichen Publizisten. Dessen erstaunliche Karriere hatte ihn von einem Volontariat beim in Rottweil erscheinenden Schwarzwälder Boten bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung geführt, für die er als einer der maßgeblichen, brillanten und immer lesbaren Kunstkritiker schrieb. Damit nicht genug: Spies wurde auch noch zum Chef des Centre Pompidou (1997-2000), einer von vielen bedeutenden Institutionen, in denen der umtriebige Netzwerker unterwegs war.

Bei Prestel hat der luzide Feuilletonist seine besten Kritiken veröffentlicht: Unter den Titeln „Das Auge am Tatort“ und „Rosarot vor Miami“ kann man diese Beispiele einer kurzweiligen, pointierten Sprache und gleichzeitig gründlichen Analyse nachlesen. Spies hat auch rund 70 Bücher verfasst, etliche mit dem Prädikat Standardwerk, in der Regel zu Picasso und Ernst. Und er hat großartige Ausstellungen zu diesen beiden Fixsternen des 20. Jahrhunderts organisiert. Die Kataloge dazu trugen seine Handschrift: Sie waren immer verständlich und kenntnisreich, mitunter in dem Spies eigenen, nicht uneitlen Plauderton geschrieben. Eine Marke.

Seit seiner Studienzeit, die quasi als Erlösung auf eine karge Kindheit im Schwäbischen folgte, liebt er Paris und Frankreich schlechthin, er verehrt die Literatur des Landes, hat Alain Robbe-Grillet, Marguerite Duras und Jean Tardieu übersetzt. Auch die Lehre war ihm wichtig. Spies hatte 1975 bis 2002 einen Lehrstuhl an der Kunstakademie Düsseldorf, wurde selbst aber erst zu Beginn seiner Lehrtätigkeit durch Eduard Trier an der Bonner Universität promoviert.

Eng verbunden war er mit Max Ernst, den er 1966 kennenlernte und mit dem er bis zu dessen Tod im Jahr 1976 befreundet war. Schon früh engagierte Spies sich für das Brühler Max-Ernst-Kabinett, spielte eine nicht unumstrittene Rolle als Spiritus rektor des 2005 eröffneten Max Ernst Museums. 2012 legte er alle Ämter nieder.

Seine jüngste Publikation „Picasso zwischen Beichtstuhl und Bordell“ könnte suggerieren, der Meister würde nun kleinere Brötchen backen: 38 Seiten im Miniformat 14 mal acht Zentimeter ist das Büchlein stark, 14 Seiten zählt der „Geburtstagsbrief“ des Verlegers Piet Meyer. Dort ist die Rede vom „großen Reisenden“ Spies, der einen Kosmos eröffnet habe „in dem man sich staunend verlieren kann, ein Kabinett der Belehrung und Bereicherung“.

War da vielleicht noch was? „In den letzten Jahren gab es in den Medien viel Wesen um Zusammenhänge, in welche dieser vielseitige Mann auf unglückliche Weise impliziert war“, orakelt Meyer. „Da sind Dinge geschehen, zu denen ich mich hier nicht äußern möchte.“

Werner Spies: Picasso zwischen Beichtstuhl und Bordell. Piet Meyer Verlag, 53 S., zehn Euro

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