Wotan Wilke Möhring im Interview Lebenslust, Chaos und laute Musik

BONN · Der Kölner Wotan Wilke Möhring (49) spielt in der neuen Kinokomödie „Happy Burnout“ einen lebenslustigen Provokateur. Der Film variiert auf originelle Art den Klassiker „Einer flog über das Kuckucksnest“.

 „Happy Burnout“: Wotan Wilke Möhring als Alt-Punk Fussel

„Happy Burnout“: Wotan Wilke Möhring als Alt-Punk Fussel

Foto: Thomas Kost/Riva Film

Einen solchen Provokateur spielt Möhring in der Filmkomödie „Happy Burnout“, die am 27. April in die Kinos kommt. Inhalt: Der Lebenskünstler Fussel geht jeder Art von Arbeit diskret aus dem Weg, die verliebte Sachbearbeiterin im Arbeitsamt besorgt ihm ein Arbeitsunfähigkeitsattest. Bevor die Kungelei auffliegt, begibt sich Fussel mit der Diagnose Burnout in ein Sanatorium zur Therapie. Dort lernt er echte Stresspatienten kennen. Und sich selbst. Mit Wotan Wilke Möhring sprach Heinz Dietl.

GA: Herr Möhring, Sie spielen in „Happy Burnout“ den Punk Fussel, der sich gleich in der ersten Szene einen kleinen Glücksbringer dreht. „Morgens einen Joint – und der Tag ist dein Freund“?

Wotan Wilke Möhring: Genau. Fussel verbringt seinen Alltag am liebsten stressfrei – und trotzdem versorgt vom Sozialamt. Er schmarotzt sich auf eine charmante Art durchs Leben.

GA: Kann man diesem Freak überhaupt böse sein?

Möhring: Das ist, zumindest zu Beginn des Films, Teil der Komik. Im Verlauf der Geschichte werden wir allerdings entdecken, dass dieser Fussel außer seiner oberflächlichen Nonchalance und einer permanenten Provokation nicht viel zu bieten hat. Damit wird er sich auseinandersetzen müssen, wenn er mit den Problemen anderer Menschen konfrontiert wird.

GA: Der Film beginnt mit einer mehrminütigen Kamerafahrt. Wie lang haben Sie an dieser technisch sehr anspruchsvollen Einstellung gearbeitet?

Möhring: Das hat uns locker einen Tag Vorbereitung gekostet – mit allen Absprachen im Treppenhaus und auf der Straße. Es handelt sich tatsächlich um eine einzige Kameraeinstellung.

GA: Sie marschieren durchs Treppenhaus, über die Straße, Passanten kommen und gehen. Wie plant, wie dreht man das?

Möhring: Es ist tatsächliche irre. Du muss dir in jeder Sekunde bewusst sein, wo sich die Kamera befindet, wohin sie sich bewegt. Ein zu schneller Schritt – und das Timing funktioniert nicht mehr. Man dreht halt drei, vier Versionen – und eine passt.

GA: Die Sequenz ist unterschnitten mit Punkrock. Stammt das Material von Ihrer alten Band Red Lotus aus den Neunzigern?

Möhring: Nein. Das hätte zwar auch gepasst, ich hatte meine alte Musik sogar im Kopf, aber den Job haben in diesem Fall andere Kollegen erledigt.

GA: Hat es Sie viel Überwindung gekostet, diese grenzwertige Frisur zu tragen?

Möhring: Nee, überhaupt nicht. Das war, ehrlich gesagt, mein Angebot an den Regisseur. Ich bin ja früher selbst so rumgelaufen. Wenn schon, denn schon. Radikal an den Seiten abrasiert – und oben was stehen lassen.

GA: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit als Punk?

Möhring: Es war eine wichtige Phase in meinem Leben. Maximale Abkapselung, Provokation. Lebenslust, Chaos, laute Musik – das alles mit Gleichgesinnten. Aber auch die Ablösung davon war wichtig. Die Erkenntnis, dass es auch in Randgruppen gewisse Codes gibt, an die man sich halten muss. Dinge, die man tun darf oder eben nicht.

GA: Gibt es Punk heute noch?

Möhring: Die Grundhaltung existiert noch, das Hinterfragen von Dingen, die Lust auf ein bisschen Chaos.

GA: Sie hatten vor Ihrer Punk-Zeit Elektriker gelernt, und danach wurden Sie Zeitsoldat. Wie passt das alles zusammen?

Möhring: Als Punk zum Bund, das passt. Ich habe die Bundeswehr als Herausforderung angesehen, ich wollte mir das aus erster Hand ausschauen. Ich glaube, dass Entscheidungen, die dir viel Mut abverlangen, einen größeren Erkenntnisgewinn mit sich bringen. Fand ich konsequent.

GA: Dann sind Sie nach New York?

Möhring: Genau. Am 30. Juni wurde ich bei der Bundeswehr entlassen, am 4. Juli bin ich aufgebrochen. Mit einem One-Way-Ticket. Ende offen.

GA: Was haben Sie dort gemacht?

Möhring: Ich bin anderthalb Jahre gereist. USA, Mittelamerika.

GA: Und dann wurden Sie Schauspieler. Einfach so?

Möhring: Nun, ich wollte es nicht unbedingt werden, ich war gut 30 Jahre alt, die Schauspielerei ist zu mir gekommen. Aber ich habe mich damit wohl gefühlt, weil die Arbeit jedes Mal einen Sprung ins kalte Wasser bedeutet. Das reizt mich nach wie vor.

GA: Sie haben seit 1997 in knapp hundert Filmen mitgewirkt. Reizt Sie auch die Abwechslung?

Möhring: Genau. Ich will mich nicht festlegen, und muss es auch nicht. Ich kann mich als Schauspieler ausprobieren, und auch als Mensch. Ich erweitere dadurch meine Biografie – und bringe sie mit in die Rollen ein.

GA: Viele Schauspieler erstarren in ihrem Rollenkorsett. Was machen Sie anders?

Möhring: Man muss Glück haben und kann nur auf den Mut von Regisseuren und Produzenten hoffen. Andererseits: Ein Image ist erst mal etwas Positives. Das muss man sich erarbeiten, ob Robert de Niro oder Chuck Norris. Auch ein fester Rollentypus kann von Vorteil sein.

GA: Selbst wenn man diesen Rollentypus nicht mehr los wird?

Möhring: Dafür ist jeder selbst verantwortlich, du entscheidest ja mit. Und wenn man diese Verantwortung nicht als solche wahrnimmt, weil Spaß und Herausforderung im Vordergrund stehen, muss man sich keine Sorgen machen. So wie ich.

GA: Wie haben Sie reagiert, als man Ihnen den Old Shatterhand in „Winnetou“ angeboten hat?

Möhring: Ich empfand es als großes Glück, diesen Winnetou-Mythos in die nächste Generation zu transportieren. Es war auch eine große physische Herausforderung. 90 Drehtage. Aber: Ich sehe auch diese Erfahrung als Teil eines Gewinns.

GA: „Happy Burnout“ erinnert bisweilen an den Kultfilm „Einer flog über das Kuckucksnest“ aus dem Jahr 1975. Lassen Sie diesen Vergleich zu?

Möhring: Ja, absolut. Dieser Fussel ist der Fremdkörper in einem Sanatorium. Der Unterschied liegt vielleicht darin, dass wir unsere Geschichte etwas komödiantischer erzählen. Auch gibt es in diesem Sanatorium nicht unbedingt böse Menschen oder böse Krankenschwestern.

GA: Sondern?

Möhring: Fussel wird lediglich mit dem Schicksal anderer Insassen konfrontiert. Und mit seinem eigenen. Dadurch wird er erwachsen – und zwar auf eine gesündere Art als Randle McMurphy, den Jack Nicholson im „Kuckucksnest“ spielt.

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