Kinostart von "Seefeuer" am Donnerstag im Rex Leben und Sterben auf Lampedusa

Bonn · Ab Donnerstag im Kino: Der Berlinale-Sieger „Seefeuer“ von Gianfranco Rosi. Ein beeindruckender Film.

 Heimlicher „Star“ in „Seefeuer“: Samuele, der wie sein Vater Fischer werden will. FOTO: WELTKINO

Heimlicher „Star“ in „Seefeuer“: Samuele, der wie sein Vater Fischer werden will. FOTO: WELTKINO

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Schnell rein, schnell raus – so hatte sich Gianfranco Rosi die Arbeit für seinen Kurzfilm über Lampedusa vorgestellt. Doch die Wahrheit über dieses wichtige Relais in der Flüchtlingskrise passte eben nicht in die Westentasche. Rosi blieb ein Jahr auf der Mittelmeerinsel zwischen Sizilien und Tunesien, übernahm den Rhythmus der Bewohner und studierte den Umgang mit den Flüchtlingen.

Manches Drama hört man dabei nur: „Your position please!“ fordert der Kapitän des italienischen Marinekreuzers die Schiffbrüchigen auf ihrem maroden Kahn auf. Dort indessen eskaliert offenbar die Lage. Bis die Funkverbindung endgültig abreißt und es wieder eine grausame Bergung geben wird.

Rosi, dessen Dokumentarfilm „Seefeuer“ in diesem Jahr den Goldenen Bären der Berlinale gewann, zeigt zwei fast vollständig isolierte Welten: hier die Profis in der Auffangstation, die die überlebenden Flüchtlinge untersuchen, registrieren und für den Transport aufs Festland einteilen. Ein surreales Bild: Menschen in weißen Ganzkörperanzügen packen die Ankommenden in wärmende Goldfolie.

Und die Insulaner? Bekommen von all dem so gut wie nichts mit. Der Italiener, spätestens seit dem Auftragskiller-Porträt „El Sicario – Room 164“ für seinen leise bohrenden Regiestil berühmt, nimmt sich Zeit für den Alltag auf dem Eiland. Sein „Star“ ist der zwölfjährige Fischersohn Samuele, der mit der Schleuder auf Vögel zielt und auf Kakteen schießt. Ein liebenswert-altkluges Großmaul, nur halb so stark wie seine Sprüche. Auf hoher See wird ihm rasch schlecht, und so hockt er oft auf dem schwankenden Bootssteg, um sich das peinliche Manko abzutrainieren.

Dann ist da der Muscheltaucher, der im Morgengrauen ins Wasser steigt, oder der Radio-DJ, der für die alten Damen im Wunschkonzert gern Schnulzen wie „Fuocomare“ (Seefeuer) auflegt.

Zu den abgeschirmten Flüchtlingen bleibt der Film zwangsläufig auf größerer Distanz. Immerhin sieht man ein Fußballspiel, bei dem sich die inneren Spannungen lösen. Und man lauscht einem Mann aus Nigeria, der im trotzigen Klagelied von Leichen in der Wüste und auf der Überfahrt singt, letztlich aber die hochriskante Reise als einzige Chance auf ein besseres Leben rühmt.

Entscheidendes Scharnier zwischen den beiden Sphären ist der Inselarzt Pietro Bartolo. Er behandelt Samueles „träges Auge“ (ein Symbol fürs gleichgültige Europa?) ebenso einfühlsam wie die Flüchtlinge.

Und wenn er Rosi seine Albträume offenbart, den entsetzten Blick auf tote Schwangere oder Kinder, lässt sich erahnen, welchen Horror auch die Helfer erleiden.

Der Filmemacher Gianfranco Rosi kommentiert all dies nicht, doch seine stoische Kamera insistiert. Der 52-Jährige fährt mit hinaus, wenn wieder einmal ein überladener Schleuserkahn havariert und Rettungskräfte die Sterbenden von den „nur“ Apathischen oder noch halbwegs Ansprechbaren trennen. Schlimm genug.

Im Laderaum aber, dort wo die Ärmsten ihre (relativ) billigen Plätze hatten, liegen nun unzählige Verdurstete und Erstickte. Dieses apokalyptische Bild kann durch nichts mehr aufgewogen werden, auch wenn ausgerechnet Samuele schließlich einen kleinen Vogel in den Händen birgt.

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