International Telekom Beethoven Competition Bonn Kontroversen im Publikum und tröstende Juroren

BONN · Unser Autor studiert am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Köln. Zusammen mit weiteren Studierenden gibt er im Rahmen eines Seminars mit einem journalistischen Schwerpunkt in einer losen Folge von Artikeln Eindrücke von der International Beethoven Competition Bonn 2017 wieder.

 Jury-Präsident Pavel Gililov präsentiert die sechs Seminfinalisten.

Jury-Präsident Pavel Gililov präsentiert die sechs Seminfinalisten.

Foto: © Dan Hannen 2017

Und wieder flog die Hälfte raus. Nach sechs Stunden Klaviermusik von Beethoven und Komponisten der Romantik bei der Zweiten Wettbewerbsrunde der International Telekom Beethoven Competition klingelte Dienstagabend um 21:20 endlich das Glöckchen zur Verkündung der Semifinalisten im Großen Saal der Telekom Zentrale. Im Foyer hatte man Wetten abgeschlossen, Kandidaten Mut zugeredet, kontrovers über Bewertungskriterien diskutiert. Eine treue Besucherin beteuerte sogar, „wahrscheinlich noch viel nervöser als mein Favorit“ gewesen zu sein. Jurypräsident Prof. Pavel Gililov verkündete mit fast beiläufigem Gestus die Namen der sechs Teilnehmenden, die von der Jury ins Halbfinale geschickt wurden: Ashok Gupta (Großbritannien), Tomoki Kitamura (Japan), Jakub Kuszlik (Polen), Ho Jeong Lee (Südkorea – die einzige weibliche Semifinalistin), Ronaldo Rolim (Brasilien) und Alberto Ferro (Italien), der gleichzeitig auch Publikumssieger des Online-Votings war.

Nach dem Gruppenfoto konnten enttäuschte „Rausgeflogene“ die Entscheidung von der Jury in einem ausführlichen Gespräch eine Begründung erhalten, einige ungläubig, andere ihrer Problemstellen durchaus bewusst. Auch aufgebrachte Zuschauer diskutierten mit den Juroren, größtenteils selbst Pianisten und Klavierprofessoren aus der ganzen Welt, ein Musikredakteur und eine Konzertagentin, über Fairness und Subjektivität. Gililov erklärte bezüglich der Juryberatungen, kontroverse Diskussionen unterhalb der Juroren wolle man, wenn nicht unumgänglich, eher meiden.

Begründen mussten die Juroren ihre Stimme deshalb selbst untereinander nicht, was natürlich auf der einen Seite größtmögliche Entscheidungsfreiheit garantiert; aber auch möglicherweise zu Willkür einladen kann, wenn ein Kandidat einem Juroren beispielsweise einfach unsympathischer ist als ein anderer, denn diese ganz menschlichen psychologischen Eindrücke können wohl selbst die kompetentesten und erfahrensten Juroren und Professoren nicht verhindern.

Dabei müssen die neun Juroren zur Einzelbewertung gar keine Punkte oder Noten verleihen, jedes Jurymitglied muss sich einfach für sechs der zwölf Kandidaten entscheiden, die es mit einem JA ins Halbfinale schicken will. Diese JA-Stimmen werden dann separat vom Jurypräsidenten und einem Kontrollteam ausgezählt. Bei der Entscheidung über die Semifinalisten habe es zwar durchaus verschiedene Meinungen gegeben, jeder Juror hatte also eine andere „Trefferquote“ seiner Favoriten bei der Berechnung des ausschlaggebenden Mittelwerts, es habe aber kein Unentschieden bei der Auszählung gegeben.

Doch wie sollte so ein fundiertes Urteil idealerweise entstehen? Im Juryhandbuch empfiehlt der Jurypräsident seinen internationalen Kollegen, natürlich auf „technisches Können, Erkennen von Formfunktionen, musikalische Gestaltung“ zu achten, wobei aber vor allem ein fundiertes Stilverständnis in einer wohltemperierten Balance zur Selbstständigkeit der Interpretation, die berühren und überraschen soll, stehen müsse. Außerdem spricht er eine mit diesen Kriterien nicht abdeckbare Bewertungsebene an, die des „inneren Ohrs“, auf das die Juroren hören sollten, „das, was jenseits des angeschlagenen Tons, des Rhythmus´ und der Dynamik zu uns spricht, was uns mitreißt“.

Überraschende Jury-Wertung

Ein von vielen favorisierter Pianist war aber unter den Semifinalisten nicht dabei, der Franzose Tenguy de Wiliencourt, von Publikum und Rezensenten gleichsam zum heißen Anwärter auf den Siegertitel gekürt. Sowohl „die technische Perfektion des Spiels, als auch der Ausdruck, den er in die Musik legt“, so ein Rezensent, wurden gelobt. Deshalb sorgte die Juryentscheidung teilweise für einige Aufregung und Überraschung, mit seiner Interpretation von Beethovens Sonate Nr.17 op.3 und Richard Wagners „Isoldes Liebestod“ in einer Bearbeitung von Liszt konnte er wohl nicht alle der internationalen Jurymitglieder begeistern, was ja nicht heißt, dass nicht die Mehrheit der Jury grundsätzlich überzeugt von ihm war.

Einig waren sich Publikum und Jury aber beim Italiener Alberto Ferro, der nach dem Online Voting auch zum Publikumssieger gekürt wurde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Teilnehmenden der zweiten Runde hatte er mit Werken von gleich vier Komponisten, von Beethoven über Mendelssohn und Schumann bis zu Liszt, die größte Vielfalt in sein knapp einstündiges Programm gelegt. Dies konstruierte er dramaturgisch dann so raffiniert und klug, dass er das Publikum mit Franz Liszts Ungarischer Rhapsodie in cis-Moll S 244/12 zu feurig euphorischem Applaus und Jubel bewegen konnte und damit den Schlussakt dieses Wettbewerbstags perfekt inszenierte.

Der letzte Wettbewerbsblock brachte bemerkenswerterweise allgemein viele Gewinner hervor: Alle Etappensieger außer einer hatten ihren Auftritt am zweiten Tag der Runde und nicht am Vorhergehenden - ob das wohl Zufall ist oder die Reihenfolge psychologischen Einfluss auf die Bewertung gehabt haben könnte? Ein Psychologe im Publikum hält es durchaus für möglich, denn bei so viel aufzunehmender Kunst könne natürlich das am meisten berühren, was noch am präsentesten ist – ein Juror hingegen bestreitet diesen Faktor und spricht vom reinen Zufall.

Bei der Bewertung nicht zu unterschätzende Faktor waren aber auf jeden Fall mimischer -und gestischer Ausdruck der internationalen Nachwuchspianisten. Besucher der vorderen Reihe wurden beispielsweise bei dem britischen Pianisten Ashok Gupta von geradezu mechanischen und marionettenartigen Bewegungen und einer etwas theatralischen Mimik irritiert, wohingegen bei schlechteren Sichtverhältnissen nur die „atemberaubende Spielfertigkeit“ gelobt wurde. So kann ein subjektiver Höreindruck über die Zukunft einer Künstlerkarriere mitentscheiden, denn auf höchstem Niveau und mit ganz eigener Note spielen die Semifinalisten alle.

Weitere Informationen: www.telekom-beethoven-competition.de

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