Kölner Schauspielpremiere Klinkenputzers Höllenfahrt

Köln · Martin Reinke brilliert im Depot 1 des Kölner Schauspiels als Willy Loman in Arthur Millers Klassiker „Tod eines Handlungsreisenden“

 Ein Paar hält zusammen: Linda (Birgit Walter) und Willy Loman (Martin Reinke).

Ein Paar hält zusammen: Linda (Birgit Walter) und Willy Loman (Martin Reinke).

Foto: Tommy Hetzel

Ich bin 'ne Granate“, feuert sich Willy Loman an. Doch das klingt nach Pfeifen im Wald. Mit 60 bringt er von seinen Vertreterreisen kaum noch Abschlüsse mit, ist überdies vom Festgehalt auf Provision gestutzt – wie ein Anfänger. Eigentlich steht ihm das Wasser bis zum Hals, doch im Depot 1 des Kölner Schauspiels schwappt es vorerst nur um die Knöchel. Kein fester Boden mehr, nirgends.

Thomas Dreißigackers Bühnenbild ist der erste Geniestreich in Rafael Sanchez' Inszenierung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“: in der Mitte nur eine kleine Lichtinsel für Willy, seine Frau Linda und die Söhne, darüber hängt ein Quader wie ein Sargdeckel. Alles drumherum wird zur dunklen Grotte, an deren Wänden die Wasserreflexe tanzen. Der ideale Resonanzraum fürs Endspiel eines Gescheiterten.

Millers Abgesang auf den amerikanischen Traum könnte fast 70 Jahre nach seiner Entstehung antiquiert wirken, doch der globale Turbokapitalismus wirkt als Aktualitätsgarant. Außerdem setzte der US-Dramatiker seinem Titelhelden ja keinen Heiligenschein auf. Willy Loman zieht in der Erfolgslotterie keineswegs unverschuldet die Niete und projiziert die Hoffnung auf den Hauptgewinn umso heftiger auf seine Söhne. Doch weder der nichtsnutzige Schürzenjäger Happy noch der haltlose Schwächling Biff wird die Höllenfahrt des Klinkenputzers stoppen.

Auf der surrealen Bühne und zu Pablo Giws klagender Musik gewinnt Millers Drama beklemmende Dichte: bessere Zeiten und verpasste Chancen, Wirklichkeit und Tagtraum – alles fließt gespenstisch ineinander und spiegelt Willys Realitätsverlust.

Sein Glücksritterbruder Ben (Benjamin Höppner) taucht wie ein Popstar auf, während der honorige Nachbar Charley (Winfried Küppers) mit allen Hilfsangeboten an Lomans störrischem Stolz abprallt. Jede Aufführung dieses Dramas steht oder fällt mit ihrem Hauptdarsteller, und hier bietet Köln einsame Klasse auf: Martin Reinke.

Er führt Willy traumhaft sicher über den Grat zwischen Verblendung und bitterer Erkenntnis, zwischen Aufgekratztheit und tödlicher Erschöpfung. Hinter seinen schnarrenden Durchhalteparolen schimmert blanke Panik auf. Dabei unterschlägt Reinke Lomans nervensägende Selbstgerechtigkeit keineswegs. Die Frauen am Wegesrand nimmt er gewissermaßen als Boni des kleinen Mannes mit. Und gibt „kluge“ Ratschläge, wo ihm der eigene Misserfolg längst den Mund hätte verbieten müssen.

Aber dieser grauhaarige, fahlgesichtige Mann ist eben auch eine leidende Kreatur, die spürt, wie die Kräfte schwinden. „Nach all den Landstraßen und den Zügen, nach den Terminen, nach all den Jahren bist du am Ende tot mehr wert als lebendig“, zieht er bitter Bilanz. Und Reinke spielt Loman nicht nur als traurigen Einzelfall, sondern als existenzielles Exempel. So schnell und so tief kann jeder aus seinen tröstlichen Lebenslügen fallen.

Birgit Walter gibt Linda, der Frau an seiner Seite, kämpferische Noblesse. Sie schirmt Willy gegen die Verachtung der anderen ab und lässt manchmal ahnen, wie teuer sie diese Treue bezahlt. Mit deutlich groberem Strich zeichnen Seán McDonagh (Biff') und Thomas Müller (Happy) die Söhne, deren Slapsticktemperament die elegische Grundstimmung immer wieder bricht. Ihrem Vater hilft dies nicht – Willy endet als Leiche im flachen Wasser. Martin Reinke aber badet wenig später in verdienten Ovationen, denn sein überragendes Spiel krönt einen schlüssigen

Nächste Termine: 14., 22. März, je 19.30 Uhr, 19. März., 16 Uhr. Karten in den Bonnticket–Shops.

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