Erstaufführung in Köln Klänge aus unendlichen Weiten

Köln · Peter Eötvös dirigiert beim Konzert des Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam in der Philharmonie sein neues Werk „Multiversum“.

 Klangraum: Peter Eötvös und Iveta Apkalna bei der Probe in der Kölner Philharmonie.

Klangraum: Peter Eötvös und Iveta Apkalna bei der Probe in der Kölner Philharmonie.

Foto: Thomas Brill

Der ungarische Komponist Peter Eötvös ist ein echter Glückspilz. Denn er befindet sich in der luxuriösen Lage, dass nicht weniger als neun große internationale Konzerthäuser sich zusammengetan haben, um ihn mit einem neuen Werk zu beauftragen. Das ist für sich genommen schon ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Für den 73-jährigen Eötvös kommt hinzu, dass er in diesem Projekt auch als Dirigent involviert ist und das großartige Koninklijk Concertgebouworkest aus Amsterdam zur Verfügung hat. Die Uraufführung fand am Dienstagabend in der Hamburger Elbphilharmonie statt und wurde einen Abend später in der Kölner Philharmonie wiederholt.

Dass Eötvös sein Werk der Elbphilharmonie auf den Leib komponiert hat, verleugnete auch die Kölner Zweitaufführung des Stücks nicht. Schon wegen der großen Orgel der Bonner Firma Klais, die nicht nur Soloinstrument seines Stücks „Multiversum“ ist, sondern auch wegen der Hamburger Hausorganistin Iveta Apkalna, die auch die weiteren Aufführungen auf der Tour spielt. In Köln kann die auf einen vielschichtigen Raumklang hin abzielende Uraufführungssituation freilich noch gut rekonstruiert werden, besser jedenfalls als in klassischen „Schuhkarton“-Sälen, wie es das Concertgebouw in Amsterdam ist, wo sie das Stück einstudiert haben und wo es dann in der kommenden Woche zu erleben sein wird. Und auch in Köln kann Apkalna eine Klais-Orgel spielen, die – wie in Hamburg – über einen mobilen Spieltisch verfügt, der sich vors Orchester schieben lässt.

Eötvös stellt dem Klang der Pfeifenorgel noch den einer (von László Fassang gespielten) Hammond-Orgel gegenüber, deren elektrisch verstärkte Töne aus im Raum verteilten Lautsprechern dringen. Auch im Orchester spielt Eötvös mit dem Raum, hat die Streicher komplett nach links verlagert, die Holzbläser sitzen alle rechts, dazwischen das Blech und an der Rückwand verteilt eine riesige Schlagwerkbatterie.

Die multiplen Klangräume in „Multiversum“ spiegeln sozusagen den Weltraum wider. Im Vorwort zu seiner Partitur zitiert Eötvös den US-Physiker Edward Witten und seine Forschungen zum elfdimensionalen Raum. Anders als sein Kölner Weggefährte aus den 1960er Jahren, Karlheinz Stockhausen, verfällt Eötvös keiner spirituell-mystischen Kosmologie, sondern bleibt in seinen Klangerfindungen eher von diesseitiger Natur. Die ersten Orgeltöne klingen sogar überraschend vertraut, wenn sie Johann Sebastian Bachs berühmte d-Moll-Toccata zitieren. Schwer machen möchte Eötvös es seinem Publikum nicht.

Das neu sortierte Orchester fällt durch Klangsequenzen von tiefem Blech und Schlagwerk auf, daneben – aus anderen Dimensionen – hört man auch irisierende und schwebende Klänge. Wie das Orchester unter Eötvös' klarer Zeichengebung diese Klänge produziert, ist schlicht großartig. Wenn die Streicher nach langer Pause plötzlich ein paar 32-stel-Noten hinwischen, oder die Solotrompete ihren gedämpften Klang ganz präsent in den Raum stellt, ist die besondere Qualität der Musiker aus Amsterdam deutlich zu vernehmen.

An der Klais-Orgel ist Iveta Apkalna gut beschäftigt, nutzt die Palette der Farbmöglichkeiten des Instruments virtuos aus, während der typische Sound der vor allem im Jazz und von den Heroen des Prog-Rocks wie Keith Emerson benutzte Hammond-Orgel einerseits zwar deutlich ärmer an Variantenreichtum, dafür aber sehr charakteristisch ist. Eötvös' klingende Reise in die unendlichen Weiten ist auf jeden Fall ein echtes Hör-Abenteuer, das vom Publikum im nicht ausverkauften Saal mit viel Beifall aufgenommen wurde.

In der ersten Hälfte des Programms hatten sie auch schon mit Klassikern des 20. Jahrhunderts begeistert. Sie spielten eine klanglich fein ausdifferenzierte Interpretation von Arnold Schönbergs Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene op. 34, die freilich keinen wirklichen, sondern nur einen imaginären Film illustriert, es folgten eine rhythmisch packende und mitreißende Tanz-Suite von Béla Bartók und die Symphonie in drei Sätzen von Igor Strawinsky, bei der die virtuos gespielten Klavier und Harfe eine wesentliche Rolle übernehmen. Dem Orchester aber blieb hier jedoch genügend Raum, seine Weltklasse virtuos zu zeigen.

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