David Lynch und "Twin Peaks" Keine Kompromisse

David Lynch hat mit der dritten Staffel von „Twin Peaks“ wieder Fernsehgeschichte geschrieben. Der Film "The Art Life" würdigt den Maler Lynch.

 Die Schöne und das Biest: Nicole LaLiberte and Kyle MacLachlan als böser Dale Cooper in „Twin Peaks.” FOTO: SHOWTIME

Die Schöne und das Biest: Nicole LaLiberte and Kyle MacLachlan als böser Dale Cooper in „Twin Peaks.” FOTO: SHOWTIME

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In dem Kinofilm „David Lynch: The Art Life“ erinnert sich der amerikanische Filmemacher, Musiker, Maler, bildende Künstler und Fotograf an seine Studienzeit an der Pennsylvania Academy of Fine Arts in den 1960er Jahren. Einmal kam ihn sein Vater besuchen und wurde vom künstlerisch ambitionierten Sohn in einen Raum geführt, in dem David mit toten Vögeln und Mäusen experimentierte; er wollte sich mit dem Phänomen Verfall vertraut machen.

Auf den Vater hinterließ der Besuch in Philadelphia einen zwiespältigen Eindruck. „Dave“, wandte er sich an seinen Sohn, „I don't think you should ever have children.“ Zu den schönsten Szenen in „The Art Life“ (2017, ab 25. Januar als DVD erhältlich) von Jon Nguyen, Rick Barnes und Olivia Neergaard-Holm gehört die traute Zweisamkeit von Lynch, der gerade 72 geworden ist, mit seiner 2012 geborenen Tochter Lula: eine Vater-Tochter-Idylle.

Lynch, der mit der Fernsehserie „Twin Peaks“ und Filmen wie „Blue Velvet“ und „Mulholland Drive“ berühmt wurde, blickt auf mehrere Ehen zurück. Aus ihnen sind bisher zwei Töchter und zwei Söhne hervorgegangen. Die 1968 geborene Jennifer Lynch erregte 1993 mit ihrem Kinodebüt „Boxing Helena“ Aufsehen, in dem eine junge Frau ohne Arme und Beine in einer Amour fou mit einem Chirurgen verbunden war. „Unter Kontrolle“, Jennifer Lynchs zweiter Versuch 2008, erzählte die Geschichte von einem FBI-Agenten-Paar, das in einem Serienmordfall ermittelt. Die Regisseurin inszenierte Albträume: mit gewalttätig anmutenden Schnitten, mit Todesschreien, kreatürlichen Symbolen, toten Vögeln und Ratten. Wer den Film sieht, kann die Sorgen ihres Großvaters nachvollziehen.

Nach „Inland Empire“, dem letzten großen Film aus dem Jahr 2006, geriet die Kinokarriere von David Lynch ins Stocken. Der Regisseur, der in einer glücklichen Familie („super happy household“) aufwuchs, aber von düsteren und fantastischen Träumen heimgesucht wurde und als Künstler mit Vorliebe in die Abgründe der menschlichen Seele hinabsteigt, konzentrierte sich nun auf die bildende Kunst und die Musik. 2014 kehrte er jedoch auf die große Bühne zurück – und wie.

Der Satz „It's happening again“ (Es passiert wieder) elektrisierte die Fans der legendären amerikanischen Fernsehserie „Twin Peaks“ (1990-1991). Ihr Schöpfer plane eine neunteilige Fortsetzung, entnahm die Welt einer Twitter-Meldung des Regisseurs. Geplanter Sendetermin der dritten Staffel beim US-Kabelsender Showtime: 2016. Bei allen neun von Lynch und Mark Frost geschriebenen Episoden sollte Lynch die Regie übernehmen, hieß es zunächst. Am Ende wurden es 18 Folgen, die in Deutschland 2017 beim Bezahlsender Sky gelaufen sind.

„Was die Oberflächen zeigen, ist nur ein Teil der Wahrheit. Darunter steckt das, was mich am Leben interessiert: die Dunkelheit, das Ungewisse, das Erschreckende, die Krankheiten“, hat David Lynch einmal bemerkt. In „Twin Peaks“ entfaltete er seine Vision auf vollkommene Weise. In der TV-Serie mit Kyle MacLachlan als FBI-Agent Dale Cooper konnte der Regisseur all seinen Ideen und Einfällen hemmungslos nachgeben. Die Geschichte beginnt mit dem Mord an der Schülerin Laura Palmer (Sheryl Lee). In der Folge werden die Abgründe einer amerikanischen Kleinstadt offenbart.

Lynch bewies in „Twin Peaks“ das seltene Talent, sich unterschiedliche Genres anzueignen und etwas vollkommen Neues und Eigenständiges zu erschaffen. Die Serie befriedigte die Schaulust des Publikums, amüsierte und schockierte, sie weckte Zuneigung für ihre Figuren und gab dem Zuschauer Rätsel auf. Lynch errichtete eine (Alb-)Traumwelt auf einem realen Fundament, in der das Irreale alltäglich und das Alltägliche irreal erschien. „Twin Peaks“ ließ sich als skurrile Kleinstadt-Satire genießen, aber auch als tiefenpsychologisches oder metaphysisches Gleichnis.

In der Fortsetzung trifft der Zuschauer viele alte Bekannte wieder: Kyle MacLachlan, Sheryl Lee, Michael Horse, Miguel Ferrer und Lynch als FBI Deputy Director Gordon Cole. An einer linearen Erzählstruktur ist Lynch nicht interessiert. Es gibt neuerdings zwei Cooper, einen guten und einen bösen. Es gibt wechselnde Schauplätze – darunter New York, Las Vegas und Twin Peaks –, immer wieder neue Wendungen und diverse Mordfälle. Und viele scheinbar lose Enden. Die Serie vereint Thriller und Mystery, Komödie und Farce. Sie gibt Rätsel auf und legt falsche Fährten.

Es scheint, als ob der Regisseur sich auf seine Anfänge als experimenteller Filmemacher besonnen hat. Das größte Glück empfand er, als er 1977 „Eraserhead“ drehte, und es ihm erlaubt war, eine ganz eigene Welt zu erschaffen – ohne kommerzielles Kalkül und aufgezwungene Kompromisse.

Einige Kritiker haben empfohlen, „Twin Peaks: A Limited Event Series“ nicht als 18-teilige Serie, sondern als 18-Stunden-Film zu betrachten. Wie auch immer man es wendet: Der Zuschauer muss sich mehr als nur einmal in dieses faszinierende und verstörende Lynch-Universum begeben, um alle Einzelteile zu erfassen.

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