Van Morrison im GA-Interview "Ich lasse mich nicht als altes Eisen abstempeln!"

Interviews mag er nicht. Und nur selten macht er Ausnahmen. Der nordirische Musiker Van Morrison hat ein neues Album eingespielt – und redet. Über die neuen Songs, nervige Journalisten und über sein Image als „missmutiger alter Sack“.

 Van Morrison bei einem Konzert in Los Angeles

Van Morrison bei einem Konzert in Los Angeles

Foto: AFP

Treffpunkt: ein Montagmorgen in Belfast, natürlich im 5-Sterne-Golfresort The Culloden mit Blick auf die Bay und begleitet von einer adretten Assistentin, deren Job darin besteht, dem Meister ein Glas Wasser für seine Tabletten zu reichen. Van Morrison selbst ist ein ebenso kleiner wie kompakter älterer Herr mit Ledermütze, Lederjacke, rosa Poloshirt, Jeans, lichtem Schädel und einem Akzent, der sich gewaschen hat. Zudem ist er hektisch, unwirsch. Was sich erst legt, wenn man ihm kräftig Honig ums Doppelkinn schmiert und sich zumindest augenscheinlich an seine Vorgaben hält. Nämlich sich bitte aufs neue Album „Keep Me Singing“ zu konzentrieren. BOULEVARD-Mitarbeiter Marcel Anders hat sich in jeder Hinsicht bemüht.

GA: Herr Morrison, Sie wurden im Februar von Prince Charles zum Ritter geschlagen. Bestehen Sie auf die Anrede „Sir“?

Van Morrison: Nicht wirklich. Sie können mich nennen, wie sie wollen.

GA: Das klingt nicht so, als ob Sie sonderlich stolz wären?

Morrison: Pfff… Natürlich bin ich stolz, aber: Ich bin immer noch, wer ich immer war. Und eigentlich möchte ich auch nicht darüber reden, sondern lieber über mein neues Album.

GA: Für das Sie vier Jahre benötigt haben. Lag es daran, dass Sie zwischenzeitlich noch Ihren Backkatalog mit den alten Songs überarbeitet haben?

Morrison: Es hat so lange gedauert, weil da drei Plattenfirmen involviert waren. Ich musste drei Jahre verhandeln, um einen halbwegs vernünftigen Vertrag zu bekommen.

GA: War das schon immer so?

Morrison: Nicht wirklich. Das ist es erst in den letzten zehn, 15 Jahren geworden. Die Labels verlangen viel, sind aber kaum bereit, ihrerseits etwas zu leisten. Dagegen wehre ich mich.

GA: Sind Plattenfirmen heute eher am Backkatalog als an neuem Repertoire interessiert?

Morrison: Anscheinend. Ein guter Backkatalog ist eine Bank. Man hat keine großen Kosten, braucht keine Werbung und bedient ein Publikum, das sich freut, wenn die Sachen von früher hübsch aufgemacht sind.

GA: Aber?

Morrison: Nun, die Plattenfirma hatte kein Interesse an meinen neuen Sachen, weil das „Duets“-Album, das ich zuletzt gemacht habe, nicht wirklich toll lief. Die haben einfach kein Interesse daran. Schon gar nicht von einem Künstler meines Alters.

GA: Die meisten großen Rockmusiker sind heute jenseits der 70 – haben die alle dasselbe Problem?

Morrison: Definitiv! Sie veröffentlichen nur noch olle Kamellen. Es ist traurig.

GA: Was wäre die Alternative?

Morrison: Ich lasse mich nicht als altes Eisen abstempeln! Deswegen halte ich es mit dem Jazz, da kann man in Würde alt werden und muss nicht gegen diesen verfluchten Jugendwahn ankämpfen.

GA: Sagt das Alter etwas über die Qualität der Musik aus?

Morrison: Im Jazz nicht. Da kann man auch im hohen Alter noch Sachen rausbringen, denen eine künstlerische Wertschätzung entgegengebracht wird. Allerdings nur von einem eingefleischten Publikum. Aber im Pop? Wer will schon Madonna mit 70 erleben? Na ja, lange dauert das auch nicht mehr.

GA: „Keep Me Singing“ ist ihr 36. Studioalbum. Eine imposante Leistung, oder?

Morrison: Sicher. Auch wenn ich bei der Zahl 36 vor allem daran denke, wie viel Arbeit darin steckt. Echte Knochenarbeit. Nur: Ich habe eigentlich nie Zeit, groß darüber nachzudenken, weil ich wahnsinnig viel um die Ohren habe. Und das mit 71 – es ist der Wahnsinn.

GA: Im neuen Song „Let It Rhyme“ beschreiben Sie Musik als das perfekte Mittel, um Frauen zu verzaubern. Sprechen Sie da aus Erfahrung?

Morrison: Soweit ich mich erinnern kann, habe ich noch nie Frauen mit Musik erobert. Zumindest haben sie das nicht zugegeben. Sorry, dass ich da eine Fantasie zerstören muss. Für mich ist das einfach ein Song.

GA: Aber er zeugt von einem gewissen Humor, oder?

Morrison: Das tut er tatsächlich.

GA: Wie auch der Titel „Too Late“, in dem sie anmerken, es sei nie zu spät, sich mit einer Dame in ihrem Garten zu treffen.

Morrison: Richtig. Ich will dem Text eine Wendung geben, die dem Hörer ein Lächeln abverlangt. Das Problem ist, dass die meisten Kritiker das nicht merken. Die Fans schon, aber nicht der vermeintliche Experte, der dafür bezahlt wird, dass er sich mit seinem Fachwissen dazu äußert. Das ist traurig – aber wahr.

GA: Fühlen Sie sich missverstanden, zumal man Sie gern als „missmutigen alten Sack“ bezeichnet?

Morrison: Also nett ist das nicht, aber ich bin auch nicht sauer. Es basiert auf dieser Tendenz zu Stereotypen. Und die meisten Stereotype basieren auf Sachen, die vor Ewigkeiten passiert sind.

GA: Zum Beispiel?

Morrison: Ich hatte in den 70ern ein BBC-Interview, das nicht besonders gut lief, weil der Moderator keine Ahnung hatte. Doch statt sich bei mir zu entschuldigen, hegt der Typ einen riesigen Groll auf mich. Was dafür sorgt, dass ich seit Dekaden ein schlechtes Verhältnis zur BBC habe. Ist das fair? Nein.

GA: Welche Folgen hat das für Sie?

Morrison: Man hält mich deshalb nicht für besonders witzig – selbst wenn ich durchaus komisch sein kann. Aber es wird halt nie groß erwähnt, weil sie viel lieber über diesen schlecht gelaunten Kerl reden.

GA: Das Titelstück handelt von Ihrem Leben, bevor Sie berühmt waren. Eine echte Geschichte?

Morrison: Ja, schon. Andere Musiker sind einem ganz normalen Job nachgegangen und haben nur am Wochenende gespielt. Genau das wollte ich nicht. Ich wollte das Vollzeit machen.

GA: Also war Fenster putzen und das Ausliefern von Backwaren nicht Ihr Ding?

Morrison: Machen sie Witze? Das waren furchtbare Jobs, ich wollte da schon frühzeitig raus. Nur: Ich war ein einfacher Musiker, der als ganz normaler Typ behandelt wurde. Das hat sich geändert, als ich berühmt wurde.

GA: Was war das Problem?

Morrison: Was ist so toll daran, berühmt zu sein?

GA: Sitzt Van Morrison im goldenen Käfig?

Morrison: Nein. Ich lebe kein Promi-Leben. Ich bin ein Arbeiter.

GA: Darf man fragen, was Sie in Belfast hält?

Morrison: Belfast ist meine DNA, hier liegen meine Wurzeln.

GA: Hat Ihnen das Leben in Kalifornien also nicht gefallen?

Morrison: Klar, das Wetter war besser, aber die Menschen sind mir zu oberflächlich – und stellenweise auch zu dumm. Sonst würden sie jetzt nicht ernsthaft erwägen, diesen Idioten zum Präsidenten zu machen.

GA: Sie sind eigentlich der kleine Vogel auf dem Albumcover?

Morrison: Ich bin das Rotkehlchen. Einfach, weil ich gar nicht anders kann als zu singen. Ich weiß, wer ich bin – und alle anderen tun das offenbar nicht. Vielleicht sollten sie dann einfach die Klappe halten.

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