"Biografie" von Maxim Biller Hyperaktive Langeweile

Ausgestattet mit schamlosem Witz und noch mehr Neurosen schickt Maxim Biller im Roman „Biografie“ seine Figuren um die halbe Welt – und produziert trotz rasantem Erzähltempo hauptsächlich Langeweile.

 Jüdischer Friedhof: Billers Figuren schleppen viele Traumata durchs Leben, die der Holocaust in ihren Familien hinterlassen hat.

Jüdischer Friedhof: Billers Figuren schleppen viele Traumata durchs Leben, die der Holocaust in ihren Familien hinterlassen hat.

Foto: picture alliance / dpa

Erpressung, Entführung, Hollywood, Drogen, Holocaust, Stalinismus und Sex – ganz viel Sex: Der neue Roman von Maxim Biller hat mehr als ausreichend Grundzutaten mitbekommen, um eine packende, interessante Lektüre zu versprechen. Als Würze gibt Biller viel Skurrilität und tabulosen Witz bei, der immer wieder mit jüdischen Klischees, mit antisemitischen Schablonen spielt – und als Kontrapunkt eine gewisse melancholische Grundstimmung.

Auf knapp 900 Seiten erzählt Biller einen jüdischen Mehrfamilienroman, dem er freundlicherweise ein Personenregister vorangestellt hat. Im Mittelpunkt stehen zwei Männer mittleren Alters und ihr Umfeld: Solomon „Soli“ Karubiner, Ich-Erzähler des Buchs und leidlich erfolgreicher jüdischer Schriftsteller, und Noah Forlani, meist „Noahle“ genannt, Millionärssohn und Taugenichts, der versucht, mit allerlei Film- und Weltverbesserungsprojekten sein Erbe durchzubringen.

Die beiden sind seit ihrer Bar-Mizwa in der Hamburger Synagoge im Jahr 1976 beste Freunde, „Brüder“, wie sie sagen, vereint durch ihre Herkunft – beider Familien stammen aus der galizischen Kleinstadt Buczacz, wo sie unter dem Terror der Nazis und der Judenverfolgung gelitten haben –, durch ihre speziellen sexuellen Vorlieben und ihre Neurosen. Während Soli aus Deutschland fliehen muss, weil er wieder einmal beim Masturbieren in einer Sauna erwischt wurde, wird Noah bei einem Filmdreh im Sudan entführt.

Bevölkert wird der Roman daneben von allerlei anderen kaputten Gestalten: Noahs klammernde Ehefrau Merav, seine Geliebte Ethel, die keine Jüdin mehr sein will, Solis fettleibige Schwester Serafina, seine vom Vater missbrauchte Ex-Freundin Oritele, traumatisierte israelische Elitesoldaten, sextolle Rabbis, Hollywoodschauspieler mit Drogenproblemen, sudanesische Dominas, antisemitische Psychiater. Die Handlung springt zwischen Berlin, Hamburg, Tel Aviv, Prag, Los Angeles und New York hin und her und ist von Rückblenden gespickt, die das gesamte 20. Jahrhundert durchmessen.

Biller spürt der Herkunft jener Wunden nach, die sich die Figuren lecken

Schlicht „Biografie“ hat Biller seinOpus magnum genannt. Obwohl es einige Parallelen zwischen der Hauptfigur und der Vita des Autors gibt – wie Soli Karubiner wurde auch Maxim Biller als Kind russisch-jüdischer Eltern in Prag geboren und emigrierte mit seinen Eltern und seiner Schwester als Zehnjähriger 1970 nach Westdeutschland, wo er nun in Berlin als Schriftsteller lebt – sollte der Roman nicht als Lebensbeschreibung verstanden werden.

„Biografie“ vielmehr, weil Biller in seinem Buch der Herkunft jener Wunden nachspürt, die sich die Hauptfiguren lecken – Spuren, die der Holocaust bei den Überlebenden und der nachfolgenden Generation hinterlassen hat, aber auch der Terror des Stalinismus. Beide Väter – der eine Exkommunist und Doppelagent, der andere gewiefter Geschäftsmann und Multimillionär – sind nicht nur Überlebende der Shoah, sondern haben sich auch schuldig gemacht.

Während Soli als Kind von seinem Vater regelmäßig verprügelt wurde, waren es bei Noah die polnischen Kindermädchen. Die Eltern allerdings, die ihren Sohn heimlich mit Videokameras überwachten, sahen zu. „Aah, dachte ich beim Anblick von Oriteles entblößtem Tuches, wir alle leben bis zum Schluss in den übergroßen Schatten derer, die uns gegen unseren Willen in diese Welt deportiert und dann gezwungen haben, sie Papa und Mama zu nennen und ihnen Gutenachtküsse zu geben“, philosophiert Hauptfigur Soli an einer Stelle.

Die tiefen Spuren werden nun vor allem mit Sex kompensiert, angelehnt an Philip Roths Klassiker „Portnoys Beschwerden“, der im Buch auch mehrfach erwähnt wird. Sex in allen möglichen Spielarten ist auf fast jeder Seite des Romans Thema, meist allerdings eher verbal als horizontal. „Sex ist immer Rache, und wenn nur an sich selbst“, heißt es an einer Stelle.

Biller liebt die gezielte Provokation. In der Neuauflage des „Literarischen Quartetts“ spielt er gerne den Agent Provocateur und wird für seine eiskalten, zuweilen polemischen Urteile gefürchtet. In „Biografie“ erzählt er wie im Rausch, als müsse er in jeder Zeile beweisen, zu welchen stilistischen Spitzfindigkeiten, Tabubrüchen und kreativen Ergüsse er fähig ist – wie im Format amerikanischer Sitcoms, wo jeder Satz auf eine (wenn auch zuweilen flache) Pointe und den Lacher des Publikums zielt.

Biller versäumt es, die verschiedenen Stränge und Anekdoten zu einer sich entwickelnden Handlung zusammenzubinden, dem Buch Struktur zu geben. Den Figuren kommt der Leser, obwohl sie nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinn die Hosen herunterlassen, nicht wirklich näher. Genau wie sie geht auch das Buch mit hyperaktiver Sprunghaftigkeit und aufmerksamkeitsheischender Schrille erst auf die Nerven, dann tritt sehr bald ein Völlegefühl ein. Rasantes Tempo, Provokation und Gags nutzen sich bald ab – was bleibt, ist gereizte Langeweile.

Maxim Biller: Biografie. Kiepenheuer & Witsch, 896 S., 29,99 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort