Buchkritik: "Die Toten" von Christian Kracht Hollywood den Bilderkrieg erklärt

Christian Kracht mischt im Roman „Die Toten“ Geschichte und Fiktion. Kracht verkuppelt reale mit fiktiven Figuren, beglaubigte Geschichte mit unglaublichen Erfindungen.

 Mysteriöses Raunen: Christian Kracht.

Mysteriöses Raunen: Christian Kracht.

Foto: Frauke Finsterwalder

Den Ruf des unberechenbaren Genies gibt es nicht umsonst, und Christian Kracht tut einiges dafür. In seinem Werk „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ kippte er vom Hebelpunkt 1917 aus mal eben die Weltgeschichte aus den Angeln, in „Imperium“ ließ er einen größenwahnsinnigen Aussteiger ein Weltreich im Zeichen der Kokosnuss gründen. Nun also „Die Toten“, ein Roman mit mindestens ebenbürtigem Seltsamkeitsfaktor. Zu Beginn begeht ein japanischer Offizier vor laufender Kamera rituellen Selbstmord. Die Filmrolle landet beim zwielichtigen Masahiko Amakasu, der sie gewissermaßen als Köder an den Ufa-Tycoon Alfred Hugenberg schickt. Das Ziel: eine „zelluloidene Achse“ zwischen Berlin und Tokio zu schmieden, um Hollywood den Bilderkrieg zu erklären.

Und während die braunen Rotten durchs Berlin der 30er Jahre marschieren, schickt Hugenberg den Schweizer Regie-Langweiler Emil Nägeli nach Japan, um dort einen Gruselfilm zu drehen. Dessen deutsche Braut Ida von Üxküll soll die arische Hauptdarstellerin sein, lässt sich statt dessen aber mit Amakasu ein, was sie zwar nach Hollywood führt, dort aber ein böses Ende nimmt.

Man sieht schon, Kracht verkuppelt reale mit fiktiven Figuren, beglaubigte Geschichte mit unglaublichen Erfindungen. Das alles könnte dank Stargästen wie Charlie Chaplin und Heinz Rühmann eine schwerelose Schmonzette sein. Doch der gebürtige Schweizer will mehr: Tiefe, Leid, Geheimnis. Nägeli wie Amakasu sind gemarterte Männer, der eine Opfer elterlicher Grausamkeit, der andere seelisch geschundener Absolvent einer sadistischen Kadettenanstalt. Nägeli etwa wird nach dem Tod seines Schindervaters „von beständigem purpurnen Selbstmitleid“ befallen.

Diesem apart kolorierten Psychophänomen leistet bald ein „bodenloses, gelbes, zitterndes Gefühl der Ohnmacht“ Gesellschaft, wie Kracht hier überhaupt einer preziös parfümierten Prosa frönt. So wirken Dörfer bei einer nächtlichen Zugfahrt wie „lediglich im Vorübergehen befruchtete Bienenstöcke“.

Gewiss gibt es neben manierierten Metaphern auch faszinierende Szenen: etwa Hugenbergs Protz-Solo im Varieté oder die alkoholbefeuerte Taxifahrt mit Siegfried Kracauer und Lotte Eisner. Dies sind Glanzmomente einer Nummernoper zwischen Drama und Slapstick, die durch den herbeifantasierten Plot indes kaum zusammengehalten wird. Ersatzweise öffnet der Autor mit mysteriösem Raunen weite Resonanzräume. So meditiert er über die Macht der Kinobilder und deren Tabugrenzen: „Es gab Geschehnisse, an denen wir uns mitschuldig machten, wenn wir deren Wiedergabe betrachteten.“ Und dann ist da, dem Titel gemäß, „die Zumutung der Vergänglichkeit“. Am Anfang stirbt Nägelis Vater mit einem rätselhaften „H...“ auf den Lippen, am Ende wird das „H“ im Hollywood-Schriftzug über Los Angeles zur Todesfalle. Doch in dieser makabren Klammer erreichen die letzten Dinge kaum je existenzielle Wucht, sondern verlieren sich in einer artifiziellen Scharade.

Christian Kracht: Die Toten, Roman, Kiepenheuer & Witsch, 212 S., 20 Euro. Der Autor liest am 22. Oktober um 20 Uhr im Rahmen der Lit.Cologne Spezial in der Kulturkirche Köln.

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