„Herero_Nama – A History Of Violence“ Herero-Stück in Köln feiert Premiere

Köln · Es ist ein Minenfeld, das Nuran David Calis mit seiner neuesten Arbeit für das Schauspiel Köln im Depot 2 ausbreitet – denn egal, welchen mentalen Schritt der Zuschauer unternimmt, es kann immer eine Bombe hochgehen.

 Yuri Englert, Talita Uinuses und Israel Kaunatjike auf der Bühne.

Yuri Englert, Talita Uinuses und Israel Kaunatjike auf der Bühne.

Foto: David Baltzer

Nach seiner Keupstraßen-Trilogie stellt Calis in „Herero_Nama“, das am Samstag Premiere feierte, die Ermordung von 60 000 bis 90 000 Mitgliedern dieser namibischen Volksgruppen während der deutschen Kolonialzeit in den Mittelpunkt. Wie schon in „Die Lücke“ und den Nachfolgestücken stehen auf der Bühne Schauspieler (Yuri Englert und Stefko Hanushevsky) und „Betroffene“, in diesem Fall die Nama Talita Uinuses und der Herero Israel Kaunatjike. Hinzu kommen der Kulturanthropologe (und Performancekünstler) Julian Warner und die Schauspielerin Shari Asha Crosson, die beide als Deutsche mit schwarzer Hautfarbe immer wieder Rassismus erleben. Gemeinsam lässt Calis sie den Bogen von der Kolonialzeit bis in die Gegenwart schlagen.

Zwischen 1884 und 1915 war „Deutsch-Südwestafrika“ Kolonie des Kaiserreiches. Als sich Herero und Nama 1904 gegen Unterdrückung und Landraub durch deutsche Siedler auflehnten, wurden sie brutal von General Lothar von Trotha gejagt – heute sprechen Historiker vom ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Am Ende des Abends versteht man die Taten als Vorläufer des Holocaust. Denn die Herero und Nama wurden nicht nur in Kämpfen getötet, sondern in der Wüste zu Tode gehetzt und starben in Konzentrationslagern, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten.

Die Bundesregierung spricht zwar mittlerweile – genau gesagt erst seit 2015 – von Völkermord, verweigert aber die Reparationszahlungen, die die Herero und Nama fordern. Erhöhte Entwicklungshilfeausgaben lehnen diese wiederum ab, da das Geld an die namibische Regierung ginge und beide Gruppen sich von ihr nicht repräsentiert fühlen. Deshalb versuchten sie in den USA, Deutschland auf Reparationen zu verklagen – ganz aktuell wurde gerade am Freitag die Klage abgewiesen.

Doppelstunde Geschichtsleistungskurs

Aber es geht nicht nur um die Schuld (und die Sühne) an einer anonymen Masse, sondern um ganz konkretes Durchleiden in den Familien. In quasi einer Doppelstunde Geschichtsleistungskurs bereitet Calis dieses hochkomplexe Thema auf, holt es vom Diskussionspodium auf die Bühne, indem er Schauspieler in Masken und Kostüme (von Geraldine Arnold) steckt, sie in Zeitlupe agieren lässt, zur Verstärkung Musik, Geräusche, Nebel und Videoprojektionen einsetzt und die Bühne (Anne Ehrlich) mit Kirchenfenstern, rollbaren Stellwänden, treudeutscher Kaffeetafel und einem Podest bestückt, das zum Gräberfeld mutiert.

Die Frage bleibt, ob man das alles braucht, wenn man mit so starken Fakten und Geschichten, die unter die Haut gehen, konfrontiert wird.

Diese Frage stellt auch Julian Warner in der Funktion des Teufels Advokaten: „Ihr denkt, ihr müsst irgendwelchen Weißen aus Lindenthal ihre verdrängte Geschichte näherbringen.“ Und: „Müssen wir Talita beim Leiden zusehen?“ Denn sowohl Talita Uinuses als auch Israel Kaunatjike hört und sieht man ihre persönliche Betroffenheit immer wieder an – ihre echten Emotionen treffen ins Herz, egal, ob man nun in Lindenthal oder Zollstock wohnt.

Aber sind sie dann nicht Protagonisten eines bildungsbürgerlichen Betroffenheitsmomentes, die man vergisst, bis das Thema irgendwann eine breite Öffentlichkeit erreicht, wenn Reparationszahlungen geleistet werden? Und ist es vielleicht eine erste (wenn auch sehr minimale) Form der Reparation, wenn zwei Aktivisten ihre Forderungen an die deutsche Regierung und an das deutsche Volk in einer durch Steuermittel finanzierten Theaterarbeit vorbringen können?

Zwei Stunden (ohne Pause). Weitere Termine: 22.3., 27.3., 6.4., jeweils 20 Uhr.

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