Hannes Wader im GA-Interview Hannes sagt "Tschüss!"

Der Liedermacher Hannes Wader (74) geht auf eine letzte große Tournee und verabschiedet sich auch von seinem Bonner Publikum.

 Hannes Wader: „Ich war auf diese Karriere nicht vorbereitet; ich habe Dekorateur in einem Schuhgeschäft gelernt, aber genau mit dieser Vorbestimmung habe ich gebrochen – ohne Rücksicht auf Verluste“

Hannes Wader: „Ich war auf diese Karriere nicht vorbereitet; ich habe Dekorateur in einem Schuhgeschäft gelernt, aber genau mit dieser Vorbestimmung habe ich gebrochen – ohne Rücksicht auf Verluste“

Foto: Michael Petersohn

Er ist 50 Jahre unterwegs und kein bisschen leise: Hannes Wader, Provokateur und Poet mit unverkennbarer Stimme, gilt als einer der letzten großen deutschen Liedermacher im traditionellen Sinne. Am 23. Juni wird er 75 Jahre alt. Wader sieht die Zeit gekommen für eine letzte große Konzertreise. Er hat in all den Jahren oft in Bonn gespielt und tut es auch bei seiner Abschiedstournee. Im Programm hat Hannes Wader persönliche und politische Lieder, gewürzt mit schwarzem Humor und Selbstironie. Mit dem Liedermacher sprach Olaf Neumann.

GA: Herr Wader, Sie sind im selben Alter wie Bob Dylan, der sich seit 30 Jahren auf „Never Ending Tour“ befindet. Warum wollen Sie mit den Tourneen aufhören?

Hannes Wader: Ich werde in diesem Jahr 75. Es beginnt, mich anzustrengen. In den vergangenen 50 Jahren habe ich nie länger als ein Vierteljahr ausgesetzt. Ich war immer auf der Straße. Bevor nicht nur ich, sondern noch andere das Alter bei mir bemerken, möchte ich lieber mit dem Herumreisen aufhören.

GA: Ist jetzt also komplett Schluss?

Wader: Im Grunde sind es noch fünf Tourneen, die ich bis Anfang 2018 spielen werde. Und dann tschüss! Es wird danach sicher noch vereinzelt Auftritte geben, aber nicht mehr Dutzende am Stück.

GA: Was stimmt Sie beim Rückblick auf Ihre Karriere zufrieden?

Wader: Meine Karriere ist ein Wechsel von Siegen und Niederlagen, da muss ich erst Papier und Kugelschreiber in die Hand nehmen und das aufschreiben. Ich muss mich noch mit dem Gedanken anfreunden, aufzuhören.

GA: Haben Sie für Ihren Erfolg einen Preis zahlen müssen?

Wader: Es kommt mir so vor, dass der Preis, den ich gezahlt habe, gar nicht so hoch war, sondern dass andere dafür einen hohen Preis zahlen mussten. Mir war das alles nur möglich mit einergewissen Rücksichtslosigkeit.

GA: Was meinen Sie damit?

Wader: Ich war auf diese Karriere nicht vorbereitet, ich habe Dekorateur in einem Schuhgeschäft gelernt, nach acht Jahren Volksschule. Eigentlich war mein Weg vorbestimmt, aber genau damit habe ich gebrochen – ohne Rücksicht auf Verluste.

GA: Verlangt die Kunst eine gewisse Rücksichtslosigkeit?

Wader: Ich würde sagen: ja. Mich hat niemand gefördert, ich entstamme dem ostwestfälischen Landproletariat. Mein Vater war Knecht auf einem Bauernhof, meine Mutter Putzfrau. Und wenn man nicht macht, was andere auf dem Zettel haben, eckt man logischerweise an.

GA: Sie galten schon früh als Rebell. Sind Sie das noch immer?

Wader: Ja, aber dazu gehört nicht viel. Schon die Idee, einfach nur singen zu wollen, statt Schaufenster zu dekorieren oder auf den Bau zu gehen, ist rebellisch genug. Damit zieht man sich raus aus dem Üblichen. Und das tut man nicht ungestraft, das wird sofort geahndet von allen, die um einen herum sind.

GA: Welchen Anspruch haben Sie an Ihre Lieder?

Wader: Ich möchte schon, dass sie etwas bewirken. In meinen Anfängen war die Frage sehr präsent, ob man mit Liedern die Welt verändern kann.

GA: Und – kann man das?

Wader: Es ist unmöglich. Aber man kann bestimmte soziale Bewegungen begleiten. Damals hatten die Studentenproteste und die Friedensbewegung die gesamte westliche Welt erfasst. Anfangs gab Bob Dylan diesen Bewegungen eine Stimme, obwohl er das gar nicht wollte.

GA: Wie sehen Sie Dylan?

Wader: Dylan ist ebenfalls ein sehr rücksichtsloser Mensch, der nicht nach links und rechts schaut. Aber er hat sich auch gewehrt gegen die Festnagelung als Protestsänger und als die Stimme der Weltjugend. Das hat ihn angekotzt, er wollte singen! Ich kann das sehr gut verstehen, ich lasse mich auch nicht gern auf irgendwelche Inhalte oder Botschaften festnageln.

GA: Was wird an Ihnen verkannt?

Wader: Ich fühle mich nicht verkannt. Mit dem Echo, das ich hervor rufe, bin ich zufrieden. Man kann nicht allen gefallen.

GA: Schreiben Sie auch Lieder, weil Sie an der Welt leiden?

Wader: Ganz bestimmt. Doch Weltschmerz ist nicht der einzige Grund für das Schreiben von Liedern. Singen hat für mich etwas Therapeutisches. Schreiben und Singen sind Autotherapie. Ich bin von Haus aus kein besonders heiterer Mensch, in meiner Grundstimmung war ich immer aggressiv-depressiv. Meine Lieblingsstimmung ist die Melancholie.

GA: Hat das etwas mit der Zeit zu tun, in der Sie aufgewachsen sind? Als Kind haben Sie die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs miterlebt.

Wader: Natürlich, das war absolut prägend. Ich war schon immer sensibler als andere. Wehleidiger. Ich habe als Kind viel geweint, mich immer unverstanden gefühlt. Für diese Überempfindlichkeit kann meine Familie nichts, die mich im Krieg und in der Nachkriegszeit zwangsläufig auch ein bisschen vernachlässigt hat. Mit meiner Empfindlichkeit bin ich anderen ziemlich auf den Wecker gegangen.

GA: Muss man Optimist sein, wenn man Lieder schreiben will?

Wader: Ich bin es, aber grundsätzlich muss ein Künstler gar nichts. Er muss frei sein.

GA: Wie blicken Sie in die Zukunft?

Wader: Im Augenblick nicht besonders optimistisch, was die nationale und internationale Lage betrifft. Aber es gibt auch immer Entwicklungen oder einzelne Menschen, die einen wieder hoffen lassen. Gandhi hat eines der größten Völker der Erde befreit. Ein anderes Beispiel ist Mandela. Oder Willy Brandts Kniefall in Warschau. Das sind Sternstunden, an die man sich emotional halten kann.

GA: Was ging in Ihnen vor , als der Neonazi-Barde Frank Rennicke Ihnen eine Platte mit der Coverversion Ihres Liedes „Es ist an der Zeit“ überreichte?

Wader: Das war ein Schock. Ich habe diese Platte bis heute nicht gehört aus Ablehnung, Abscheu und Desinteresse.

GA: Wer steht hinter dem Erfolg der Rechten – neue Nazis oder besorgte Bürger?

Wader: Da rätsele ich. Es ist wieder mal eine Mischung aus allem. Man hat von einem Verbot der NPD abgesehen, weil ihre Rolle bedeutungslos ist. Das muss man sich mal vorstellen! Aber es kommt von einer ganz anderen Seite etwas – AfD, Pegida, besorgte Bürger. Das sind wieder Dinge, die mich pessimistisch stimmen.

GA: Was konkret stimmt Sie pessimistisch?

Wader: Ich habe das Gefühl, das breitet sich über den ganzen Planeten aus wie eine Seuche. Ich sehe durchaus die Gefahr eines neuen, anders gearteten Faschismus auf uns zukommen. Gleichzeitig bin ich optimistisch, dass wir das noch mal hinkriegen.

GA: Was wäre zu tun?

Wader: Natürlich müssen wir geschützt werden vor diesen grauenhaften Anschlägen. Und es ist auch richtig, die Polizeikräfte zu verstärken und die Datenüberwachung zu verschärfen. Wenn das alles da ist und die akute Gefahr vor dem Islamismus vielleicht geringer wird, dann wird die Masse an Polizeikräften sicher nicht wieder ausgedünnt werden. Die Verschärfungen werden bleiben, und dann sind möglicherweise ganz andere Leute am Ruder als Merkel.

GA: Am 23. Juni werden Sie 75. Wie geht es Ihnen damit?

Wader: Ich bin froh, dass ich dieses Alter erreicht habe und einigermaßen gesund bin. Mit 75 ist man wirklich ein alter Mensch. Um eine Tour bewältigen zu können, muss ich Sport treiben, dabei hasse ich das eigentlich.

GA: Und was tut sich in künstlerischer Hinsicht?

Wader: Ganz neue Lieder gibt es momentan nicht, weil ich gerade an meinen Erinnerungen schreibe. Multitasking liegt mir nicht.

GA: Wo ist das Problem?

Wader: Bei mir tröpfelt alles unglaublich zäh. Das merke ich gerade jetzt, wo ich Prosa schreibe. Ich habe nur zweimal im Leben in wenigen Stunden ein Lied geschrieben. In 50 Jahren! Sonst brauche ich Monate oder Jahre, bis eines fertig ist. Und beim Schreiben von Erinnerungen muss man ständig entscheiden, ob etwas zu peinlich ist.

GA: Kommt das oft vor?

Wader: Bei manchen Erinnerungen muss ich regelrecht erröten, und ich frage mich, wo die Grenze zwischen Abmildern und Lüge ist. Dann ist es vielleicht besser, es ganz weg zu lassen. Mir wäre zum Beispiel alles peinlich, was Donald Trump macht. Ob es seine Frisur ist oder das, was er erzählt. Aber ihm selbst ist es nicht peinlich. Er hat ein bestimmtes Bild von sich und das vertritt er selbstbewusst.

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