Lesungen in Bonn und Köln Ganz nah am Publikum

BONN · Beim Festival „Literatur in den Häusern der Stadt“ öffnen private Gastgeber in Bonn und Köln ihre Häuser, Wohnungen und Firmenzentralen für Lesungen mit Buchautoren oder Schauspielern. In Bonn wirken Anfang Juni unter anderem Peter Lohmeyer und Wladimir Kaminer mit

 Peter Lohmeyer: Der beliebte Schauspieler liest in Bonn und Köln aus dem Buch „Der Tag, an dem ich Weltmeister wurde“ von Friedrich Christian Delius

Peter Lohmeyer: Der beliebte Schauspieler liest in Bonn und Köln aus dem Buch „Der Tag, an dem ich Weltmeister wurde“ von Friedrich Christian Delius

Foto: picture alliance / Georg Wendt/d

Auch in Köln gibt es eine Brühler Straße. Sie ist wesentlich länger als die Brühler Straße in Bonn und geht als südwestliche Ausfallstraße am Militärring in die Brühler Landstraße über. Kurioserweise beginnt die Brühler Straße an der Ecke Bonner Straße, deren Schicksal als mehrjährige Baustelle gerade besiegelt wurde. Kenner nutzen die Brühler deshalb als Schleichweg. Der morgendlichen Stimmung im Veedel tut dies keinen Abbruch: „Komm setz dich zu uns“, sagt der Köbes des Lokals Kölschhaus und bittet auf die Terrasse. Man möchte dem Ruf am liebsten folgen, aber: Da ist noch ein Termin auf der anderen Straßenseite. Kontrastprogramm: In der Nummer 11-13 residiert der Kölner Kunstsalon, der 1994 von Privatpersonen gegründet wurde, um „Kunst und Kultur nachhaltig zu fördern“. Der Verein mischt sich in die Kulturpolitik der Stadt ein, sammelt Spenden und veranstaltet Kultur, zum Beispiel in Köln, Bonn und Hamburg die Festivals „Musik in den Häusern der Stadt“ und „Literatur in den Häusern der Stadt“. Ein kurioses Konzept, denn die Veranstalter akquirieren bei diesen Festivals tatsächlich private Gastgeber, die ihre Häuser, Wohnungen oder Gärten für Konzerte oder Lesungen zur Verfügung stellen.

Die „Literatur“-Reihe wird zumindest in der Gründungsstadt Köln volljährig, Anfang Juni steht die 18. Ausgabe sprichwörtlich ins Haus. Festivalleiterin Elisabeth Noss empfängt in der lichtdurchfluteten Kunstsalon-Zentrale eine Handvoll Journalisten und erklärt die Philosophie. Der rote Faden ist dieses Mal das Thema „Entdeckungen und Wiederentdeckungen literarischer Werke“. Man habe Debütantinnen wie Josefine Rieks und Anne Reinecke im Programm, aber auch Klassiker wie Hans Fallada.

Seit dem Festivalstart 2001 hat der Kunstsalon in allen beteiligten Städten 748 Lesungen organisiert und rund 26 000 Besucher verzeichnet. Vom 6. bis zum 10. Juni verteilen sich in diesem Jahr 29 Lesungen auf die Kölner Landkarte. 16 sind es in der Partnerstadt Hamburg. Seit fünf Jahren mischt auch Bonn mit – und geht dabei durchaus eigene Wege mit einigen Autoren, die nur in der Bundesstadt lesen.

Für das Bonner Programm zeichnet Brigitte Pütz verantwortlich. Die lokale Festivalleiterin tritt zugleich als Gastgeberin in Erscheinung und stellt am 9. Juni ihr Privathaus in Bad Godesberg für eine Lesung zur Verfügung. Der Bonner Schauspieler Simon Böer (44) liest Passagen aus dem Buch „Der Boxer“ des polnischen Autors Szczepan Twardoch. Der Roman spielt im Warschau der 30er Jahre und beschreibt auch das Verhältnis der Polen zu den Juden.

Brigitte Pütz, 1959 in Polen geboren, lebt zwar seit 40 Jahren in Deutschland, doch die Politik in ihrer alten Heimat treibt sie um: „Ich habe mich ziemlich geärgert über das neue polnische Gesetz, das es untersagt, den Polen eine Mitverantwortung an der Judenverfolgung zu geben“, sagt sie im GA-Gespräch.

Ihr Wunschkandidat Simon Böer ließ sich nicht lange bitten: „Als Schauspieler finde ich die Idee fantastisch, Literatur in einem kleinen Kreis zum Klingen zu bringen, da ist man ganz nah am Publikum“, sagt er. „Das Buch ist auf der einen Seite ein knallharter Gangsterthriller, wie ihn im Kino vielleicht Martin Scorsese machen würde, auf der anderen Seite aber auch das historische Porträt einer dunklen Zeit.“ Und: „Sollte es mal eine Verfilmung geben, würde ich den Boxer irre gern spielen.“

Böer hat in „Elementarteilchen“ (2005) mitgewirkt, in der in Bonn angesiedelten ZDF-Serie „Herzensbrecher“ (2013-16) spielte er die Hauptrolle. Und kürzlich war er im Kölner Tatort „Familien“ zu sehen.

Der Schauspieler Peter Lohmeyer (56) verteilt sein Gunst auf beide Städte: Am 6. Juni gastiert er in der Bonner Telekom-Zentrale, am 7. Juni in den Privaträumen von Edith Strunk in Köln-Nippes. An beiden Tagen realisiert er einen eigenen Themenvorschlag: Lohmeyer, zu dessen größten Erfolgen die Hauptrolle in „Das Wunder von Bern“ (2003) zählt, liest aus dem Roman „Der Tag, an dem ich Weltmeister wurde“ von Friedrich Christian Delius. „Das passt gut zur WM in Russland“, sagt Festivalchefin Pütz.

Auch ein Russe kommt nach Bonn: Der Wahlberliner Wladimir Kaminer präsentiert am 10. Juni im Hotel Königshof sein neues Buch „Ausgerechnet Deutschland“. Für Pütz ein Glückgriff: „Es ist ein Thema, das derzeit das ganze Land beschäftigt – die Flüchtlinge und unser Umgang mit ihnen.“ Kaminer habe einen anderen Blick auf die Dinge. Und verliert dabei nicht seinen tiefsinnigen Humor.

Iris Wolff (42) kam in Rumänien zur Welt und lebt seit 1985 in Deutschland. In der Gemeinschaftspraxis Radloff, Höttges, Göhring in Bad Godesberg liest sie am 8. Juni aus ihrem Buch „So tun, als ob es regnet“. Der Bonner Journalist Wolfgang Kaes liest mit Ehefrau Helga am 7. Juni bei Gastgeberin Friederike Sträter in der Villa Godesberg aus seinem Krimi „Spur 24“. Die Schauspielerin Nina West hat am 8. Juni in der Galerie Judith Andreae „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ von Bestsellerautorin Elena Ferrante zum Thema.

Was macht eigentlich Andreas „Leo“ Lukoschik? Nun, der TV-Moderator, Schauspieler und Buchautor treibt sich auf den Weltmeeren herum und schreibt darüber. Eines seiner erfolgreichen Bücher hieß: „Schläft das Personal auch an Bord?“. In seinem neuesten Werk geht er noch einen Schritt weiter: „Ist das Schiff schon mal untergegangen?“ Lukoschik sei der „Loriot der Meere“, sagt Pütz. „Leo“ liest am 10. Juni in der Genuss Schule Alfter gebucht.

Die Logistik dieses intimen Festivals genügt höchsten Ansprüchen. Privatpersonen und Firmen stellen Wohnzimmer, Gärten oder Geschäftszentralen zur Verfügung. „Die Besucher sind dankbar für die Angebote“, sagt Pütz. „Sie bringen kleine Geschenke mit und bedanken sich am nächsten Tag mit einer netten Mail.“

Und, muss man anschließend die Wohnung renovieren? „Nein, nein, es ist bisher noch nie passiert, dass irgendwas kaputt gegangen oder verschwunden wäre“, weiß die Festivalchefin.

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