Buch über Richard Nixon Gangster im Weißen Haus

Der US-Journalist Tim Weiner legt eine scharfe Abrechnung mit dem Watergate-Anstifter und Vietnam-Krieger Richard Nixon vor. Sein Buch belegt: Es war alles noch viel schlimmer als gedacht.

 Mit Winkelzügen und Intrigen: Richard M. Nixon („Tricky Dick“) war ein notorischer Lügner und skrupelloser Machtmensch.

Mit Winkelzügen und Intrigen: Richard M. Nixon („Tricky Dick“) war ein notorischer Lügner und skrupelloser Machtmensch.

Foto: AFP

Die Geschichte hat ihr Urteil über Richard Milhous Nixon gefällt, die Gerichte ihre Urteile gleichfalls. Auch wenn es Weichzeichnungsversuche gegeben hat: Der Name des 37. US-Präsidenten ist untrennbar verbunden mit der Watergate-Affäre und der Eskalation des Vietnam-Kriegs mit Hunderttausenden getöteten Zivilisten. Watergate, der von Nixons Regierung veranlasste Einbruch ins Wahlkampfhauptquartier der Demokratischen Partei, ist die Urmutter aller Polit-Affären der Nachkriegszeit.

Als die Ermittler nachwiesen, dass der Präsident selbst die schmutzigen Tricks gegen seine politischen Gegner gebilligt und angeordnet hatte, musste er schmachvoll zurücktreten. Hohe Mitarbeiter, darunter Stabschef H. R. „Bob“ Haldeman, wurden wegen der illegalen Machenschaften der Regierung zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.

Die Geschichte ist soweit bekannt, und auch Tim Weiner will sie in seiner neuen Nixon-Biografie „Ein Mann gegen die Welt“ nicht umschreiben. Im Gegenteil. Seine Auswertung lange geheimer Dokumente belegt: Es war alles noch viel schlimmer. Weiner belegt in seiner scharfen Abrechnung, dass Nixon, der sich mit Winkelzügen und Intrigen schon früh den Spitznamen „Tricky Dick“ erwarb, ein notorischer Lügner war, ein skrupelloser Machtmensch, ein von ethischen oder moralischen Bedenken ungebremster Macchiavellist.

Für seine Biografie konnte der zweifache Pulitzer-Preisträger auf Zehntausende erst kürzlich freigegebene Dokumente aus dem Weißen Haus zurückgreifen, auf Akten des Nationalen Sicherheitsrats, von CIA und FBI, Pentagon und Generalstab. Außerdem auf Prozessaussagen, unveröffentlichte Tagebücher und Hunderte Stunden jener berüchtigten Tonbandaufnahmen, die Nixon in seinen Büros ohne das Wissen seiner Gesprächspartner anfertigen ließ.

Aus diesen Quellen setzt Weiner das Bild einer Regierung zusammen, deren interne Zirkel sich in einer Art und Weise unterhielten, die an Gangsterbosse erinnert, und die teilweise entsprechend handelten. Anfang 1973 – längst steckte Nixon nach seiner glanzvollen Wiederwahl 1972 im Watergate-Sumpf – sprach der Präsident mit Vertrauten über Schweigegelder für die wegen des Einbruchs Angeklagten.

Sein Rechtsberater John Dean (später zu vier Monaten Haft verurteilt) verwies auf die Illegalität solcher Zahlungen: „Wir hier sind in solchen Dingen keine Profis. Solche Dinge macht die Mafia: Die können Geld waschen, sauberes Geld beschaffen und so.“ Nixon stimmte ihm zu. Und fragte dann, wie viel Geld nötig sei und dass man es beschaffen könne.

Dies war der Sound im Oval Office der Nixon-Jahre: Die intimen Runden mit Vertrauten wie Dean, seinem Berater für innere Angelegenheiten John D. Ehrlichman (später zu 18 Monate Haft verurteilt) oder seinem Stabschef Bob Haldeman (gleichfalls 18 Monate) glichen mitunter Konferenzen des organisierten Verbrechens. Die Teilnehmer besprachen, wie sie Gegner vernichten und fertigmachen wollten, die Ermittlungen der Justiz behindern oder Geld für illegale Operationen beschaffen konnten.

Jedes verfügbare Mittel war recht: CIA und FBI hatten die technischen und personellen Möglichkeiten und wurden bedenkenlos gegen Gegner eingesetzt. Fälschen, Abhören, Einbrechen, Bestechen, Lügen, Schmieren – kein Trick war Nixon und seinen Helfern zu schmutzig. Sie waren überzeugt, dass der Präsident sich nicht zu rechtfertigen habe.

Nixon war Sohn eines wenig erfolgreichen Zitronenfarmers. Weiner por-trätiert ihn auch als tragische Figur, als einen der charismatischsten und begabtesten US-Politiker seiner Generation, der aber wegen chronischen Misstrauens, seiner Depressionen, Trunksucht und Aggressivität das Weiße Haus in eine Schlangengrube verwandelte. Tragisch nicht nur für Nixon selbst und das politische Klima in den USA.

Tragisch vor allem wegen des Kriegs in Südostasien. Nixon trat 1969 als Präsident mit dem Versprechen an, das militärische Engagement zu beenden. Entgegen wiederholter öffentlicher Erklärungen veranlassten er und sein nationaler Sicherheitsberater Henry Kissinger jedoch die Eskalation. Nixon und Kissinger konnten nicht akzeptieren, dass es der US-Kriegsmaschine unmöglich sein sollte, ein Volk auf dem Entwicklungsstand eines Dritte-Welt-Landes zu besiegen. Also verschärften sie die Anstrengungen: „Wir werden den gottverdammten Norden [=Nordvietnam] bombardieren, wie er noch nie bombardiert worden ist“, so Nixon zu Kissinger.

Dies waren keine großmäuligen Drohungen. Die Flächenbombardements in Nordvietnam, Laos und Kambodscha töteten Hunderttausende Zivilisten. Der Krieg vergiftete das politische Klima in den USA und belastete das Verhältnis zu den westlichen Verbündeten. In ihrem Kreuzzug gegen den Kommunismus kannte die Nixon-Regierung auch auf anderen Kontinenten keine Berührungsängste: Zu seinen Freunden zählte das Weiße Haus in jener Zeit Militärdiktatoren und Folterregimes in aller Welt. Von seinen Mitbürgern hatte Nixon dagegen keine hohe Meinung: „Das amerikanische Volk, das sind Trottel“, so ein Zitat des Präsidenten. „Das graue Mittelschichtsamerika – lauter Trottel.“

Eigens für die deutsche Ausgabe hat Weiner ein Kapitel über das schwierige Verhältnis Nixons zu Willy Brandt eingeschoben. Während das Weiße Haus in Vietnam einen Stellvertreterkrieg gegen den Kommunismus führte, weckte der deutsche Regierungschef mit seiner Ostpolitik die Hoffnung auf Verständigung und Frieden. Das Weiße Haus war misstrauisch und missgünstig. „Ich kenne Brandt. Ich traue ihm nicht, wissen Sie“, teilte Nixon Kissinger in einem Gespräch mit. Die weltweite Anerkennung für Brandt, die in seiner Ehrung mit dem Friedensnobelpreis mündete, machte Nixon wütend und eifersüchtig.

Mit seiner mitunter polemischen, aber packenden und glänzend recherchierten Präsidenten-Biografie liefert Tim Weiner nicht nur ein finsteres Sitten-gemälde der „White House Horrors“ der Nixon-Jahre. Sein Buch ist in gewisser Weise hochaktuell: Weiner zeigt, welche Folgen es haben kann, wenn im Weißen Haus eine Person sitzt, die zwar charismatisch genug ist, um ins mächtigste Amt der Welt gewählt zu werden, aber charakterlich und moralisch nicht geeignet, es auszuüben.

Tim Weiner: Ein Mann gegen die Welt. Aufstieg und Fall des Richard Nixon. S. Fischer, 458 S., 24,99 Euro

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