Deutscher Autor im Interview Frank Schätzing schreibt Roman über Künstliche Intelligenz

BONN · Der Kölner Bestsellerautor Frank Schätzing wirft in seinem neuen Roman einen Blick in die nahe Zukunft. „Die Tyrannei des Schmetterlings“ ist ein packender Thriller zum Thema Künstliche Intelligenz.

Köln an einem sonnigen Dienstagmorgen. Frank Schätzing sitzt im Büro seines Verlages am Bahnhofsplatz und erwartet den ersten Gesprächspartner eines langen Interview-Tages. Es ist mal wieder so weit: ein neues Buch nach vier Jahren, auf den Doku-Thriller „Breaking News“ über die Siedlungsgeschichte Israels folgt der IT-Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“ zum Thema Künstliche Intelligenz. Der Autor, dem 2004 mit dem Öko-Thriller „Der Schwarm“ auch international der Durchbruch gelang, hat eine Bitte: Man möge einige Details des Handlungsverlaufs ausklammern, um den Lesern nicht die Spannung zu nehmen. Verständlich, denn ab Seite 200 hebt die Story richtig ab in ungeahnte Dimensionen. Mit Frank Schätzing sprach Heinz Dietl.

GA: Herr Schätzing, Sie hatten vor längerer Zeit einige heftige Turbulenzen über den Wolken erlebt und litten danach an Flugangst. Haben Sie Ihre Phobie mittlerweile besiegt?

Frank Schätzing: Ich habe mich mit ihr arrangiert. Entfernte Gegenden lassen sich halt nur mit dem Flugzeug erreichen. Glücklicherweise servieren die meisten Airlines einen passablen Rotwein, mit dem sich Langstrecken angemessen überbrücken lassen.

GA: Die Schauplätze im neuen Roman liegen in Kalifornien. Sind Sie für die Recherchen also geflogen?

Schätzing: Natürlich. Der Seeweg hätte den Erscheinungstermin des Romans dramatisch nach hinten verschoben.

GA: Sie beschreiben sehr detailfreudig Landschaften, Orte, sogar einzelne Straßen und Kreuzungen. Wäre das mit Google Maps oder Street View nicht einfacher gewesen, zumal Ihre Geschichte in der IT-Branche angesiedelt ist?

Schätzing: Man kann mit diesen Hilfsmitteln in der Tat ziemlich weit kommen, aber Sie dringen damit nicht in die Herzen und Seelen der Menschen vor, die dort leben. Meine Geschichte spielt in Kalifornien, aber in zwei völlig unterschiedlichen Biotopen. Die Sierra Nevada verbindet man mit Spätwestern-Romantik, im Silicon Valley scheinen uns Außerirdische gelandet zu sein mit dem Ziel, uns digital zu versklaven. Hier wie dort entsprechen die Menschen nicht den Klischees.

GA: Es geht um den digitalen Fortschritt durch Künstliche Intelligenz. Wie sind Sie auf das Sierra County gekommen?

Schätzing: Das Silicon Valley ist der Inkubator des digitalen Fortschritts. Da wollte ich den Leser nicht so reinwerfen, sondern ihm Protagonisten an die Seite stellen, die mit digitaler Intelligenz nichts am Hut haben. Als alter Twin-Peaks- und Fargo-Fan fand ich die Sierra Nevada mit ihren Wäldern und Mythen dafür bestens geeignet. Also suchte ich mir das am dünnsten besiedelte County Kaliforniens mit der kleinsten Sheriffwache.

GA: Wie haben Sie bei Ihren Besuchen in Downieville den dortigen Polizeialltag erlebt?

Schätzing: Sie kämpfen am Rande der Überforderung. Der Sheriff, ein überaus netter Kerl, hat mir seinen Arbeitsalltag eindringlich beschrieben. Das County umfasst 2500 Quadratkilometer, auf die sich 3000 Menschen verteilen. Der größte Teil ist unwegsame Natur. In dem Riesengebiet muss er mit gerade mal zehn Mitarbeitern für Recht und Ordnung sorgen.

GA: Also das perfekte Versteck für eine Forschungsanlage?

Schätzing: Genau. Die Anlage nach Sierra zu verlegen, symbolisiert den Zusammenprall der Gegensätze, den wir weltweit erleben. Auf der einen Seite die Hohepriester der digitalen Revolution, denen es nicht schnell genug gehen kann, demgegenüber eine diffuse Angst in großen Teilen der Bevölkerung, die Zukunft rolle über sie hinweg.

GA: Sie zitieren im Buch den britischen Mathematiker Irving John Good: „Die erste ultraintelligente Maschine ist die letzte Erfindung, die der Mensch je machen wird.“ Wird es wirklich so schlimm kommen?

Schätzing: Liegt ganz an uns. Das Buch ist keine Prognose, sondern ein Szenario. Wenn es uns gelingt, eine Maschine zu bauen, die sich ein lückenloses Bild des Universums verschafft, wird dieser ungeheure Schatz an Information sie zu hochkomplexen Rückschlüssen und Handlungen befähigen. Kein Mensch wird eine solche Maschine noch verbessern können, sondern nur die Maschine sich selbst. Ab diesem Punkt endet unsere unmittelbare Kontrolle, und das kann uns schon in Kalamitäten stürzen.

GA: Wie ließe sich das das verhindern?

Schätzing: Indem wir heute sicherstellen, dass solche Systeme, auch wenn sie zu einer gewissen Autonomie gelangen, immer in unserem Sinne handeln werden. Gremien aus Entwicklern, Unternehmern und Politikern müssen länderübergreifend Kontrollinstanzen bilden. Nicht um die Forschung zu blockieren, sondern um sie in ethische Bahnen zu lenken. KI ist eine grandiose Technologie, aber sie birgt auch ein gewaltiges Vernichtungspotenzial.

GA: Sheriff Luther sucht im Rahmen seiner Ermittlungen eine geheime Forschungsanlage auf und begegnet dort dem Computergenie Elmar Nordvisk. Hatten Sie bei dessen Beschreibung Mark Zuckerberg im Sinn?

Schätzing: Den nun wirklich nicht. Elmar ist zu zehn Prozent Larry Page, zu zehn Prozent Elon Musk und zu 80 Prozent Elmar.

GA: Hat das einen Grund?

Schätzing: Dieser Mix? Nun, ich habe im Silicon Valley eine Menge Leute kennengelernt, und die meisten verfolgen durchaus humanistische Ziele. Ob ihr Weg immer der richtige ist, darüber kann man streiten, aber Leute wie Page sind auf ihre Weise sehr in Ordnung. Der Punkt ist, alles muss immer sofort umgesetzt werden! Innehalten gehört nicht zu ihren Stärken, und das wird zum Problem vor allem bei den eher amoralischen Valley-Vertretern, den eiskalten Geschäftemachern. Gerade Zuckerberg halte ich für gefährlich.

GA: Was bringt Sie dazu?

Schätzing: Kaufen wir ihm die Reue ernsthaft ab? Die Kongress-Anhörung war lächerlich. Nie hätte er sein System freiwillig überdacht ohne den Datenskandal. Ihm ging es immer nur um Geld und Macht. Viele der Probleme, die wir heute haben, verdanken wir seiner Art, an die Dinge heranzugeben.

GA: Sind nicht viele Auswüchse rund um Facebook auch nutzergetrieben?

Schätzing: Zweifellos. Was Zuckerberg geschaffen hat, wäre nicht möglich gewesen ohne die Leichtfertigkeit und Charakterschwäche etlicher User, die im Internet Mobbing betreiben, Hasskommentare posten oder Fake News streuen. Und auch nicht ohne die vielen Naiven, die Angst vor der Digitalisierung bekunden, während sie zugleich ihr Privatleben im Netz zur Schau stellen.

GA: Sie gewinnen dem technischen Fortschritt trotzdem positive Seiten ab?

Schätzing: Technologie ist das Beste, was der Menschheit passieren konnte! Wir reden ständig über die Gefahren. Betrachten wir das Gute! Lichtschnelle weltweite Kommunikation an jedem Ort. Ich möchte nicht wie früher bei einem Notfall kilometerweit zur nächsten Telefonzelle laufen müssen, und dann ist da noch der Hörer abgerissen. Rasanter medizinischer Fortschritt durch Diagnose- und Therapie-KIs. Da werden Leben gerettet. Erkenntnisgewinn durch Auswertung von Massendaten. Man muss aufhören, sich vor der Digitalisierung zu gruseln, und beginnen, sie zu verstehen.

GA: Wie wird die digitale Welt in zehn Jahren aussehen? Werden Szenarien wie in Ihrem Buch dann Realität sein?

Schätzing: Vorhersagen sind dünnes Eis, weil sich digitale Intelligenz nicht additiv, sondern exponentiell verbessert. Ich bin sicher, dass wir in zehn Jahren im Bereich des Machine Learning enorme Fortschritte erreicht haben werden. Das heißt: Künstliche Intelligenzen werden die Welt und uns wesentlich besser verstehen als heute.

GA: Und was bedeutet es im menschlichen Alltag?

Schätzing: Zum einen den Verfall ganzer Arbeitsplatzkulturen. Ob wir dann allen Menschen, die ihre Arbeit verlieren, Alternativen geschaffen haben werden, steht zu bezweifeln. Aber gerade digitale Intelligenz kann helfen, Alternativen zu schaffen.

GA: Wie könnten solche Alternativen aussehen?

Schätzing: Verbesserung von Bedingungen am Arbeitsplatz. Breitere Bildungsangebote durch Vernetzung. Neue Tätigkeitsbereiche durch neue Technologien. Wo keine neuen Jobs geschaffen werden können, wird – unter anderem durch KI-bedingtes Wirtschaftswachstum – endlich das längst fällige bedingungslose Grundeinkommen bereitgestellt.

GA: Noch ein Buchzitat: „Frühling, Sommer, Herbst und Winter – nicht die Zyklen werden enden, nicht die Dinge verschwinden, sondern die Menschen, die sie benannt und die in ihnen gelebt haben“. Was sagt uns das?

Schätzing: Wer stirbt, der stirbt. Die Welt besteht weiter. Aber ich glaube nicht an das Aussterben der Menschheit.

GA: Was gibt Ihnen Anlass zur Hoffnung?

Schätzing: Irgendwann stürzt die Erde in die Sonne, doch bis dahin haben wir eine kosmische Abkürzung gefunden – und werden in anderen Galaxien siedeln. Und wer hat die Abkürzung gefunden? Künstliche Intelligenz.

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