Ausstellungen zum Thema Design in Belgien Formen im Fluss

Genk · Zwei Ausstellungen in Belgien zeigen Meilensteine der Gestaltung: „Die Welt von Carles und Ray Eames“ in Genk und „The Plastic Collection“ in Brüssel.

 Blick in die große Halle der 1910 gebauten Industrieanlage C-Mine im belgischen Genk.

Blick in die große Halle der 1910 gebauten Industrieanlage C-Mine im belgischen Genk.

Foto: c-mine

Der Lounge-Chair mit dem Bänkchen Ottoman ist die Mutter aller Fernsehsessel und die Schwester der schnellsten und höchstfliegenden Sitzgelegenheiten. Dazu noch Kult, ein Möbel der 1950er, mit seiner Palisanderschale und den Lederpolstern Inbegriff des mondänen Stils „California Modern“ und doch ein Stück ohne Verfallsdatum. Das Ehepaar Ray und Charles Eames landete damit 1956 einen Design-Hit, der viele Erfahrungen des Teams bündelte.

Frühe Experimente mit Schichtholz hatten nicht in die Möbelproduktion geführt – dafür waren die Zeiten nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg zu hart. Sie führten in den Entwurf und die Produktion von Beinschienen aus Birke und Mahagoni, mit denen man anatomisch perfekt die Beine verletzter Soldaten stabilisieren konnte. Die US-Marine orderte 5000 Exemplare. Ein Pilotensitz aus Schichtholz und eine Trage für Lendenwirbelverletzte gingen nicht in Serie. Dafür leichte Flugzeugteile.

Und noch während der Krieg tobte, verwandelten die Eames die Grundform der Beinschienen in organische Skulpturen, wanderten ähnliche Zeichnungen aufs Cover der Zeitschrift „Arts & Architecture“ oder tummelten sich kubistisch angehauchte Ornamente auf Gemälden. Die Welt von Charles und Ray Eames war ein stetiger Fluss, eine Endlosschleife permanenter Kreativität. Was da alles möglich war, zeigt die ausgezeichnete Ausstellung „Die Welt von Charles und Ray Eames“. Sie ist im Londoner Barbican Centre gestartet und macht derzeit an einem besonderen Ort Station: im C-mine im belgischen Ort Genk. Begleitet wird die Schau von einem umfangreichen, im Geiste der Eames sehr kreativ gestalteten Katalogbuch.

Das ehemalige Kohlebergwerk C-mine ist ein 1910 gebautes und 1988 geschlossenes, mit der Zeche Zollverein vergleichbares Ensemble der Industriekultur. In diesem technoiden Ambiente kommt die Welt der Eames besonders gut zur Geltung. In einer attraktiven Abfolge von eher konventionellen Ausstellungsräumen und Werkhallen voller Maschinen und Rohren mäandert die Schau durch diesen Kosmos. Der Begriff Design greift hier zu kurz, denn die Eames haben nicht nur Möbelklassiker geschaffen, edle Exemplare wie den Lounge Chair oder das Massenprodukt Side Chair.

Mit ihrem eigenen Wohnhaus in Pacific Palisades, Los Angeles setzten sie einen architektonischen Meilenstein. Ein schlichtes, kubisches, in 16 Stunden aufbaubares Fertighaus wie ein Schuhkarton, hell, freundlich, energetisch optimiert und – anders als viele Behausungen der Moderne – urgemütlich. Man gewinnt im Zuge der Ausstellung den Eindruck, dass in diesem umfangreichen Werk der Mensch im Mittelpunkt steht: wie er sitzt, wie er wohnt, wie er als Kind lernt, was er als Erwachsener über die Welt erfahren will. Ein moderner Wohnstil mit funktionalem und doch dem Auge schmeicheldem Mobiliar in einem modernen Ambiente trifft auf Angebote für ein neugieriges, technikaffines Publikum.

Die Eames' waren Kommunikationstalente, durchaus auch Propagandisten der Supermacht USA im Kalten Krieg, als sie für die Weltausstellung in Moskau für die „freie Welt“ warben. Sie waren auch journalistisch unterwegs: Ihr „India Report“ (1958) ist eine profunde Recherche über Land und Leute. „Information Machine“ hieß eine Multimediashow für den IBM-Pavillon auf der Weltausstellung 1964/65 in New York – so etwas hatten die Menschen noch nicht gesehen, viele der täglich 185 000 Besucher hatten hier ihre erste Begegnung mit einem Computer.

Archivalien, darunter auch Fotos von Ray und Charles mit Tiermasken oder ausgelassen bei privaten Feiern, als Entwerfer von Kinderspielzeug oder feierlich bei der Teezeremonie deuten unbekannte Facetten des Designerpaares an. Aber auch bekanntere Seiten werden vertieft. Die Schau zeigt nicht nur die Klassiker der Marke Eames, sie dokumentiert mit Fotos auch, wie damit gelebt wurde, wie die Werbung konzipiert wurde, wie der Herstellungsprozess ablief. Faszinierend wie die ganze Welt von Carles und Ray Eames.

C-mine in Genk, Belgien; bis 28. Mai. Di-So 10-18 Uhr. Das ausgezeichnete Katalogbuch (Dumont) kostet 68 Euro.

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