Gespräch im Kunstmuseum Erotische Lockrufe in Bonn

Bonn · Klaus Weises eigenwillige Interpretation von Karin Kneffels Bildern im Kunstmuseum Bonn: „Man sieht immer etwas anderes – das macht mich verrückt"

Stephan Berg schaut skeptisch und bisweilen belustigt. Nach dem Schriftsteller Lars Brandt ist Theaterintendant Klaus Weise sein zweiter Gast in einer Veranstaltungsreihe, die das Kunstmuseum anlässlich seines 25-jährigen Bestehens an der Museumsmeile ausrichtet. Weise, von 2003 bis 2013 Generalintendant des Theaters Bonn, hat sich für diesen Abend die Bilder von Karin Kneffel für eine Interpretation ausgesucht. Vor großem Publikum – es müssen weitere Stühle hereingebracht werden – legt Theatermann Weise, der sich auch im Film zu Hause fühlt, mit großem Gestus los. „Ich habe nichts über die Dame gelesen“, sagt er vorab und man merkt erst im Laufe des nun folgenden, bisweilen abenteuerlichen Parforce-Ritts durch die Exegese von Kneffels Kunst, wie clever der Interpret diese gezielte Unwissenheit für sich zu nutzen weiß.

Weise kann seine eigenwillige und kühne Auslegung des vorhandenen Stoffes ganz nach Belieben inszenieren. Man muss die Interpretation nicht teilen, zulässig ist sie allemal. Für Weise geht es in Karin Kneffels Bildern eindeutig um Verführung und Erotik. Der große Tulpenstrauß verkörpert die „Aggregatzustände der Weiblichkeit“, im Bild gegenüber gibt es „sex, crime and Rock 'n' Roll“. Museumschef Berg wirft ein, dass Verführung nicht immer weiblich sein müsse und erinnert an die Möglichkeit der Bildverführung in der Malerei.

Ein kurzer Drogentrip

Aber Weise hat sich in Fahrt gebracht und sieht in der empfangsbereiten Öffnung der Tulpenblüten den „erotischen Lockruf an die Männlichkeit“. Etliche Bildmotive erinnern ihn außerdem an Filmklassiker wie Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ oder Fritz Langs „M – eine Stadt sucht einen Mörder“. Diese Assoziationen kommen nicht von ungefähr, denn Karin Kneffel arbeitet mit sich verschränkenden Bildebenen und mysteriösen Räumen, in denen die Plausibilität mehr und mehr verloren geht, je länger man hinschaut. Insbesondere in den beiden Bildern, die einen Blick in den Innenraum von Mies van der Rohes Haus Esters in Krefeld zeigen, lassen sich die optischen Ungereimtheiten und Anspielungen auf ein ungeklärtes Geschehen einfach nicht auflösen. Weise fühlt sich an Überblendungen im Film oder an psychedelische Drogenerzeugnisse erinnert. „Man sieht immer etwas anderes – das macht mich verrückt. Ist das vielleicht auch etwas Weibliches?“ Selten wurde Kunst derart lustvoll, kurzweilig und eigensinnig interpretiert. Da capo!

Die nächste Sonderführung in der Reihe „25 Jahre Kunstmuseum Bonn“ findet am 23. August, um 19 Uhr statt. Zu Gast ist Architekt Karl-Heinz Schommer.

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